1. Juli 2022
Ein Digitalcoach für den Handel berichtet

Den Schalter umlegen

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Der Einzelhandel zählt zu den Branchen, die sich durch die Digitalisierung stark verändert haben. Vor allem, weil sich Kund*innen inzwischen ganz selbstverständlich zwischen digitaler und analoger Welt bewegen. Der Handelsverband Nordrhein-Westfalen begegnet diesem Bedürfnis und beschäftigt fünf sogenannte Digitalcoaches. Thomas Dickenbrok ist einer von ihnen und unterstützt insbesondere kleine und mittelgroße Händler des Handelsverbandes Ostwestfalen-Lippe e.V. dabei, den richtigen Weg in die digitale Welt zu finden.

Was steckt dahinter bzw. welches Ziel verfolgt der Verband mit seinem Angebot?

Thomas Dickenbrok: Das Angebot gibt es inzwischen seit knapp drei Jahren. Ziel ist es, den Handel digital sichtbarer zu machen. Es existiert eine große Schere in punkto Digitalisierung. Daraus leitet sich auch der große Nachholbedarf ab. Ich bin für OWL zuständig und gehe mit dem Thema Digitalisierung individuell auf die Menschen zu. Egal ob es ein fehlender Laptop ist, es um mögliche Förderprogramme geht oder um das Thema Social Media.

Warum scheuen einige Händler*innen immer noch den Schritt in die digitale Welt?

Thomas Dickenbrok: Häufig mangelt es an der notwendigen Hardware. Aber auch Ängste spielen eine große Rolle. Viele Händler*innen sehen sich nicht als digitale Dienstleister*innen. Aber Digitalisierung bedeutet nicht, dass es gleich einen Onlineshop braucht. Vielmehr geht es darum, als Händler*in sichtbar zu sein – mit dem jeweiligen Angebot. Das muss man nach außen spiegeln. Corona hat die Entwicklung forciert, keine Frage. Darum braucht es jetzt konkrete Hilfe und auch Geld von außen. Auf einer Skala von 0 bis 10 sorge ich auf dem Level 0 bis 1 für die ersten digitalen Schritte und damit für Hilfe zur Selbsthilfe.

Um Verbraucher*innen zu erreichen, muss der stationäre Handel die Kund*innen in beiden Welten abholen. Wo setzen Sie an?

Thomas Dickenbrok: Ich setze beim Menschlichen an. Danach verschaffe ich mir zunächst einen Überblick über den Laden und die Produkte und schaue, inwieweit wir digital etwas machen können. Denn manchmal mangelt es an der Hardware, um zum Beispiel überhaupt auf E-Mails reagieren zu können. Andere Handelsunternehmen verfügen dagegen schon längst über einen Onlineshop und benötigen Unterstützung dabei, wie sie von den Suchmaschinen gefunden werden. Das Spektrum ist breit gefächert – so ähnlich wie bei „Rach, der Restaurant-Tester“. Viele im Handel haben allerdings – auch durch die starke Einbindung in die tägliche Arbeit – die Digitalisierung aus dem Blick verloren. Sie ist aber, ebenso wie der Einkauf von Ware oder die Mitarbeiterplanung, genauso entscheidend und wichtig für den Erfolg oder Misserfolg eines Einzelhändlers. Und zwar nicht nur, um neue Ware zu präsentieren. Auch die Gewinnung künftiger Mitarbeitenden, also das Recruiting, wird durch die digitale Sichtbarkeit befeuert. Die Leute wollen abgeholt werden! Das ist auch der Grundgedanke von Social Media. Das heißt für den Handel: Er muss mit der Zeit gehen. In OWL haben wir das Problem, das knapp die Hälfte des Handels unsichtbar ist. Wir brauchen die digitalen Systeme, um ihn – wie früher im dicken, gelben Branchenbuch – wieder sichtbar zu machen. Das gilt es geballt und ganzheitlich im Ganzen anzugehen. Corona war dafür der Brandbeschleuniger und gut 80 bis 90 Prozent haben inzwischen gemerkt, dass etwas getan werden muss.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei, interne Prozesse zu optimieren?

Thomas Dickenbrok: … eine große Rolle. Viele nehmen das Internet als Ausrede für ihre leeren Läden. Doch im Internet geht es um den Absatz, nicht den Preis. Im Internet werden Impulse gesetzt, was die Leute kaufen „wollen“. Diese Impulse und Trends muss der stationäre Handel erkennen. Daher ist es beispielsweise wichtig, junge Mitarbeitende in interne Digitalisierungsprozesse einzubinden und Social Media zur Chefsache zu machen. Das heißt, selbst auf Instagram, Facebook und Co. zu gucken, um zu sehen, was die Kund*innen haben wollen. Dadurch verliert man nicht den Anschluss und behält auch in Sachen Recruiting die „junge“ Welt im Blick. Der Prozess interner Kommunikation und die Fähigkeit, Trends zu erkennen, hängen eng zusammen. Denn oft ist nicht mehr der Preis entscheidend. Kund*innen, die auf der Suche nach einem bestimmten Produkt sind, wollen es häufig sofort haben. Da ist selbst ein 24-Stunden-Versand zu langsam, da muss der stationäre Handel sichtbarer Dienstleister sein.

Was braucht es dafür?

Thomas Dickenbrok: Zum einen den Schalter im Kopf. Die Erkenntnis, dass man ohne bestimmte Prozesse nicht mehr wettbewerbsfähig ist und auch, dass man seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Wer jetzt nicht handelt, der wird spätestens in zwei, drei Jahren ein großes Problem haben. Zum Glück haben bereits viele den Schalter umgelegt und nutzen die Förderungen. Zum zweiten braucht es externe Hilfe. Das Thema Digitalisierung muss zur Chefsache werden, aber um Anschluss an die digitale Welt zu haben, sollte man seine Mitarbeitenden einbinden und zum Beispiel über Social Media zeigen, dass man ein cooles Team ist. Es braucht viele Puzzleteile, um den stationären Handel zu stärken, die Digitalisierung ist eins davon.

Welche Chancen und Optionen ergeben sich daraus?

Thomas Dickenbrok: Mitarbeitende zu finden, das Geschäft für die Zukunft aufzustellen, Prozesse durch eine Warenwirtschaft zu optimieren oder auch die Möglichkeit über Social Media mit Kund*innen direkt zu kommunizieren und als Ansprechpartner*in, den/ die man kennt, zur Verfügung zu stehen. Der Handel muss die Angst vor dem Internethandel verlieren, der 24/7 verkauft, und auch außerhalb der Öffnungszeiten den Servicegedanken mit Leben füllen. Diese Haltung muss ankommen.

Es gibt wahrscheinlich nicht die eine passende Digitalisierungsstrategie. Wie können Einzelhändler*innen ihre digitale Strategie finden, entwickeln und verfeinern?

Thomas Dickenbrok: Das stimmt, aber es gibt einige grundsätzliche Aspekte und Ansätze. Neben Instagram oder Facebook, die die sozialen Komponenten der Digitalisierung in den Fokus rücken, sollte man zunächst Grundlegendes klären und sich mit Fragen beschäftigen, wie „Wo digitalisieren wir?“, „Welche Produkte führen wir?“, „Wer sind meine Kund*innen?“, „Ist unsere Homepage rechtskonform?“ oder „Ist meine Webseite überhaupt mobilfähig, also responsive designt?“ Denn am Anfang geht es nicht um Shopsysteme, sondern darum, Basics zu haben, sich zu vernetzen, Gelder und Förderungen gezielt abzuholen, einzusetzen und zu schauen, mit wem man zusammenarbeiten kann. Das ist der Punkt, wo ich mein Wissen kostenlos weitergebe. Ich sehe mich als Knotenpunkt zu lokalen Unternehmen, die gemeinsam in die Zukunft starten wollen.

Wie ist die Resonanz auf das Angebot?

Thomas Dickenbrok: Sehr gut! In den gut zweieinhalb Jahren hatte ich zu rund 500 Händler*innen persönlichen Kontakt. Das Vertrauen ist da.

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