1. Juli 2022
Was ist zukünftig für die Kundinnen und Kunden relevant?

Herausforderungen für den Handel

Partner Stories

Alle reden von bedingungsloser Kundenorientierung? Aber wer ist eigentlich meine Kundschaft? Und wie „tickt“ sie? Was bewegt sie dazu, sich für mein Produkt oder meine Dienstleistung zu entscheiden? Diese Fragen treiben Handel und Unternehmen gleichermaßen um. Die Marktforschung hilft dabei, Antworten zu finden. Seit über 20 Jahren ist das Bielefelder Unternehmen Interrogare auf diesem Feld aktiv. Dabei arbeitet das Full-Service Institut vor allem mit individuellen und smarten Lösungsansätzen sowie methodisch anspruchsvollen Marktforschungsstudien, um den Auftraggebern nach Erhebung und Analyse der Daten pragmatische Handlungsempfehlungen zu geben. Wir haben mit Walter Freese, Director Business Development, über aktuelle Trends und ihre Herausforderungen für den Handel gesprochen.

Herr Freese, vor welchen aktuellen Herausforderungen steht der Handel?

Wir beobachten derzeit drei Megatrends. Das wäre zum einen die Corona-Pandemie in Verbindung mit Digitalisierung. Durch die Corona-Pandemie und die Schließung des stationären Handels – mit Ausnahme der Lebensmittelläden und der Baumärkte – für eine gewisse Zeit, hat sich das Konsumentenverhalten verändert. Discounter und Co. konnten ein Shoppingerlebnis während des Shutdowns anbieten und haben ihre Produktrange entsprechend erweitert. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist ein klarer Gewinner der Krise. Jetzt muss sich zeigen, ob der LEH diesen Vertrauensvorschuss und die damit verknüpften Erwartungen erfüllen kann. Der Online-Handel ist ein weiterer Gewinner der Pandemie. Aber wir als Marktforscher sehen auch, dass den Menschen das Einkaufserlebnis gefehlt hat. Viele Unternehmen sind nun bereits dazu übergegangen vor Ort und Online präsent zu sein, nutzen also On- und Offline-Kanäle.

Welche weiteren zwei Megatrends haben Sie identifiziert?

Die nächste Herausforderung für den Handel stellt die ökonomische Krise dar. Als Stichwörter seien hier Inflation, die Gefahr einer Rezession, Kostensteigerung und Lieferengpässe genannt. Die Konsumentinnen und Konsumenten werden preissensibler. Dadurch könnten kostengünstige Eigenmarken – insbesondere im LEH – künftig eine höhere Relevanz erhalten. Der dritte große Trend ist die ökologische Krise. Das Thema Nachhaltigkeit in Bezug auf den Klimaschutz wird für alle Unternehmen immer wichtiger. Denn die Kundinnen und Kunden achten verstärkt auf CO2-neutrale Herstellung, Lieferung und vieles mehr. Das Kundenbedürfnis hat sich gewandelt, die Bedeutung von Bioqualität und Regionalität nimmt weiter zu. Der LEH steht nicht zuletzt durch die verstärkt auftretenden oder auch neu gegründeten Lieferdienste unter einem Wettbewerbsdruck. Hinzu kommt der schon kurz angesprochene Preisdruck. Als Marktforscher ist es unsere Herausforderung, ein tieferes Verständnis für die Zielgruppen und ihre Bedürfnisse herauszuarbeiten, um gemeinsam mit unseren Kunden Lösungen zu entwickeln.

Wie erlangen Sie dieses tiefere Verständnis für die Zielgruppen?

Wir arbeiten mit Segmentierungsstudien und bilden Untergruppen, die wir uns genau anschauen und so Muster erkennen können. Daraus lässt sich unter anderem ableiten, ob Zielgruppen über Social-Media-Kanäle oder vielleicht doch eher klassisch mit Prospekten erreicht werden und vieles mehr. Mit Conjoint-Analysen oder projektiven Verfahren können wir Kundenwünsche genauer erfassen. Wir versetzen Menschen in echte Entscheidungssituationen. Zum Beispiel zeigen wir ihnen zwei ähnliche Produkte von zwei Marken, nennen den Preis und fragen, für welches Produkt sie sich entscheiden. So werden Aussagen zu einer Mehrzahlungsbereitschaft möglich. Bei herkömmlichen Fragebogen-Untersuchungen bekommt man allerdings nicht immer ehrliche Antworten. Die Befragten antworten häufig gemäß einer sozialen Erwünschtheit oder weil sie ein bestimmtes Selbstbild haben. Oft führt das zu einem say-do-gap. Werden Menschen beispielsweise befragt, ob sie bei ihrem Einkauf auf Nachhaltigkeit achten und dem abgepackten Fleisch das fünf Mal teurere Bio-Rind aus artgerechter Tierhaltung vorziehen, werden die meisten sagen, dass sie sich für das teurere Fleisch entscheiden. In der realen Einkaufssituation greifen sie aber zum abgepackten Fleisch. Um diese Hürden auf dem Weg zu einer realistischen Einschätzung des Konsumentenverhaltens zu umgehen und Kaufentscheidungen zu verstehen, die zu einem Großteil unbewusst ablaufen, arbeiten wir bereits seit dreizehn Jahren sehr erfolgreich mit indirekten und impliziten Verfahren. Durch diese anspruchsvolle Methode erreichen wir die unterbewusste, die emotionale Ebene. Wir bekommen viele Informationen, die wir durch eine direkte Befragung nie erhalten würden.

Wie funktioniert das?

Wir bedienen uns der Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. Dazu muss man wissen, wie wir Menschen ticken. Stellen Sie sich einen Eisberg vor. Sie sehen nur die Spitze, aber darunter liegt vieles im Verborgenen. Die sichtbare Spitze ist Sinnbild für unser rationales – unser reflektiertes und bewusstes – Handeln. Das Unsichtbare ist Synonym für das emotionale – das automatisierte und unbewusste – Handeln. Rationales Handeln – unser System 2 – ist anstrengend und raubt Energie; unser System 1 ist das „faule System“. Der Mensch ist darauf konditioniert, Energie zu sparen. Deshalb spielen Emotionen eine so große Rolle bei unseren Entscheidungen. Bei unseren Online-Befragungen legen wir den Befragten Bilder und Begriffe vor und messen die Reaktionszeit auf die Antwort, ob das Bild/der Begriff mit der Aussage übereinstimmt. Es gibt nur „stimmt“ oder „stimmt nicht“. Weil wir den Befragten zwischen 40 bis 60 Bilder oder Begriffe vorlegen, die in einer Minute beantwortet werden müssen, gibt es keine Zeit zum Nachdenken. Schnelle Antworten auf eine Frage stehen für eine starke Assoziation. Wer beispielsweise etwas länger braucht, um der Aussage zuzustimmen, dass ein bestimmter Discounter günstige Lebensmittel anbietet, lässt das darauf schließen, dass der- oder diejenige darüber bewusst nachdenken musste.

Die Methode eignet sich aber nicht „nur“, um die Bekanntheit einer Marke oder eines Unternehmens herauszufinden?

Nein, keineswegs. Wir besprechen vorab ausführlich mit unseren Kundinnen und Kunden, was für sie und ihr Unternehmen wichtig ist und beraten entsprechend. Wir können zu unterschiedlichsten Aspekten Untersuchungen anstellen. Auch wen und wie viele Menschen wir befragen. Sind das Menschen, die noch nie in Geschäft xy eingekauft haben, solche, die schon ein Jahr lang dort nicht mehr eingekauft haben oder Stammkunden? Wird der komplette Wocheneinkauf dort erledigt oder kaufen die Kunden dort vielleicht Molkereiprodukte, nicht aber Backwaren. All das können wir sehr kleinteilig abfragen.

Führt diese Datenflut nicht zu einer Überforderung?

Wir erheben unglaublich viele Daten, die wir analysieren und grafisch so anschaulich aufbereiten, dass unsere Kundinnen und Kunden die Ergebnisse und die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen auch jeder Abteilung im Unternehmen erklären und näherbringen können. Das ist wirklich ganz wichtig, dass das gesamte Unternehmen mit denselben Daten arbeitet. Aus den unterschiedlichen Zielgruppen generieren wir Personas, denen wir Namen geben, damit es anschaulicher wird. Pia ist zum Beispiel jung, online, ernährt sich vegetarisch, geht gern aus, kocht häufig mit Freunden. Weil Pia noch studiert, ist sie preissensibel. Sie wäre somit für die preisgünstige Bio-Eigenmarke relevant. Wir generieren eine überschaubare Anzahl an Untergruppen, die in sich möglichst homogen und in Abgrenzung zur anderen möglichst heterogen sind.

Während der Corona-Pandemie haben viele Menschen das Kochen für sich entdeckt. Wie relevant ist das?

Einige Unternehmen gehen in der Tat noch einen Schritt weiter, und gucken sich nicht „nur“ das Einkaufs- und das Informationsverhalten an. Ein Supermarkt hat uns damit beauftragt, das Kochverhalten der Menschen zu untersuchen. Denn wer Rezepte googelt, möchte nicht nur die dazu passende Einkaufsliste, sondern auch gleich die Möglichkeit, die Zutaten passgenau zu bestellen. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass wenn man es genauer betrachtet, HelloFresh mit seinen Kochboxen eigentlich ein großer Lebensmittelhändler ist.

Was bedeuten Ihre Studien für die KPIs?

Am Ende stehen konkrete Handlungsempfehlungen. Die entstehen unter anderem daraus, wenn man zwei Variablen miteinander in Beziehung setzt. Dann wird es richtig interessant, denn so werden Hebel sichtbar, die messbar den Unternehmenserfolg beeinflussen. Etwa: Wenn ich eine bestimmte Anzahl an Parkplätzen schaffe, erhöht sich der Umsatz um x Prozent. Oder: Welche Relevanz haben meine Produktrange und meine günstigen Preise für die Wiederkaufabsicht. Man kann auch die Bedeutung verschiedener Bio-Siegel, Tierwohl-Label oder des Nutri-Scores messen. Das sind alles wichtige Informationen in Hinblick auf Kundenbindung oder die Gewinnung von Neukunden. Man kann auch Warteschlangen an der Kasse in Bezug setzen zu der Sauberkeit der Regale im Markt. Im Grunde geht es immer um die Frage: Was ist für die Kundinnen und Kunden relevant? Und das können wir herausfinden.

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