6. Februar 2023
Partnertreffen

Jobsharing: Mehr als nur ein Arbeitszeitmodell

DKAB

Jobsharing bedeutet ehrliche Teilzeit und new ways of work. Unternehmen werden in Zukunft an diesem Modell nicht mehr vorbeikommen. Es dient nicht „nur“ der Fachkräftegewinnung, sondern hat das Potenzial, Mitarbeitende in Führungspositionen zu binden, zu entwickeln und den Wissenstransfer zu garantieren. Davon ist Wirtschaftspsychologin Svenja Christen, Geschäftsführerin von the jobsharing hub mit Sitz in Berlin, überzeugt. Zusammen mit dem IT-Spezialisten Yannic Franken hat sie vor sieben Jahren die Beratungsfirma in Berlin gegründet 

„Jobsharing gibt es bereits seit den 80er Jahren, aber durch digitale Mittel und dem Druck vom Arbeitsmarkt hat sich die Umsetzbarkeit vereinfacht“, macht Svenja Christen beim Partnertreffen von DAS KOMMT AUS BIELEFELD deutlich. Sie berichtet aus eigener Erfahrung, die sie zuvor als Tandempartnerin bei Coca-Cola sammelte und hat als HRlerin auch die Meta-Ebene im Blick. Unternehmen können durch die Möglichkeit des Jobsharings auch jenseits von reduzierter Arbeitszeit und der Förderung von Frauen in Führungspositionen auf vielfache Weise profitieren.

Professionelles Jobsharing beinhaltet für die Wahl-Berlinerin die gemeinsame Verantwortung für eine Stelle und eine enge Zusammenarbeit. Komplexe Stellen und/oder Führungspositionen lassen sich nicht einfach in der Mitte teilen. Deshalb müssen Tandems ihre Zeitmodelle autonom ausgestalten dürfen und sich dabei auch Überlappungen gönnen. Das bedeutet unter anderem, dass eine Stelle nicht 50:50 besetzt wird, sondern – so die Empfehlung – mit höheren Prozentanteilen, zum Beispiel 60:60 oder 70:70. „In der Praxis brauchen gut eingespielte Tandems nach einer Einarbeitung von etwa vier bis sechs Monaten ungefähr eine Stunde für die Übergabe“, berichtet Svenja Christen, die bereits rund 80 Tandems beim Onboarding begleitet hat. Für das Umfeld ist es entscheidend, dass es zu keiner Komplexitätserhöhung kommt. Die Frage der Zuständigkeiten muss transparent für alle kommuniziert werden. 

Die Jobsharing-Modelle

Jobsharing ist eine Frage der Definition. Beim Jobsplitting werden die Aufgaben einfach in der Mitte geteilt. Beim Partial Sharing tragen die Tandempartner*innen die Verantwortung gemeinsam, haben sich aber bestimmte Kernthemen aufgeteilt. So werden beispielsweise strategische Themen und die Führungsverantwortung gemeinsam angegangen, operative Themen oder z.B. Marktsegmente werden aufgeteilt. Beim Full Sharing sind beide Tandempartner*innen gleichermaßen für alle Themen verantwortlich, zum Beispiel im wochenweisen Wechsel. Ein großes Potenzial mit Blick auf Wissenstransfer bieten Senior/Junior-Tandems. Das funktioniere auch gut, wenn es um die Einarbeitung neuer Führungskräfte geht.

Durch den Wissenstransfer in Tandems entstehen nicht nur neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, sondern auch neue Ideen.

Svenja Christen

Svenja Christen nennt acht Ausrichtungen, wenn es um das Jobsharing geht. So böten Peer Tandems eine gute Form, vom Wissen des jeweiligen Partners oder der jeweiligen Partnerin zu profitieren. Top Sharing würde aktuell zu drei Viertel in Führungspositionen und zu einem Viertel in Fachgebieten Anwendung finden. Legacy Tandems seien ein probates Mittel für Unternehmen, Wissen im Unternehmen zu halten. Wenn etwa ein Mitarbeitender seine*n Nachfolger*in im Tandem einarbeitet und damit die Stelle sogar auf ein neues Level heben könnte. Hop-on Tandems seien ein gutes Rekrutierungsinstrument, mit dem Studierende erreicht werden könnten. Denn dabei arbeitet ein „Senior“ mit einem „Junior“ bereits während des Studiums zusammen, was den Direkteinstieg nach Studienabschluss erleichtert. Ein Benefit dabei ist, dass der ehemalige Studierende nach seinem Eintritt ins Unternehmen selbst als „Senior“ fungieren könnte. Succession Tandems sind ein gutes Tool, um Talente zu fördern und den Wissenstransfer auf der Position zu gewährleisten. Cross Functional Tandems werden häufig aus organisatorischen Gründen gebildet, beispielsweise bei einer Umstrukturierung im Unternehmen, wenn Abteilungen zusammengeführt werden. 

Mehrwerte für Unternehmen

Unternehmen bekommen die Möglichkeit, durch das Angebot von Jobsharing Karriere auch in Teilzeit anzubieten – und zwar in ehrlicher Teilzeit. Das Stundenkontingent wird nämlich tatsächlich reduziert. „Durch den Wissenstransfer in Tandems entstehen nicht nur neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, sondern auch neue Ideen“, davon ist Svenja Christen überzeugt. High Level und Deep Dive sind dabei die Schlüsselbegriffe. Und die Wirtschaftspsychologin nennt im Anschluss konkrete Beispiele aus der Praxis. So gibt es Tandems, etwa bei Edding, der Deutschen Bahn oder Unilever, die seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten und über verschiedene Positionen hinweg Karriere, bis hin zum Vorstandslevel, gemacht haben. Selbst in der Landwirtschaft ist Jobsharing möglich. Auch in diesem Beispiel betonen die Tandempartnerinnen, dass gemeinsam bessere Entscheidungen getroffen werden. 

Verdeckte Befragungen in Unternehmen haben gezeigt, dass nicht nur Frauen, sondern auch zunehmend Männer weniger arbeiten wollen. Für Unternehmen ergeben sich durch Jobsharing viele Vorteile, denn die Mitarbeitenden sind leistungsfähiger, zufriedener und gesünder. Außerdem ist eine höhere Stellenabdeckung zu verzeichnen – auch zu Urlaubszeiten und in Krankheitsfällen. Das Modell dient der Gewinnung, Bindung und Entwicklung von Mitarbeitenden und bietet mehr Raum für Frauen in Führungspositionen. Außerdem zahlt es auf das Employer Branding ein. 

Innerhalb eines Unternehmens werden Hierarchien und etwaige Silobildungen aufgebrochen.  Einzelne müssen nicht mehr allein alle Facetten ihrer komplexen Aufgabe („Wollmilchsau“) abdecken. Ein systematisches Wissensmanagement sichert den Unternehmenserfolg. Und last but not least: Das Modell bietet Stabilität während Turbulenzen und in Krisen.   

Eine Studie aus dem Jahr 2022 zeigt, dass 92 Prozent der befragten Führungskräfte Tandems für produktiver oder gleich produktiv im Vergleich zu einer Vollbeschäftigung einschätzen. Ähnlich sieht es für die abgefragten Bereiche Innovationskraft, Belastbarkeit, Kompetenzen und Fachwissen sowie Agilität aus. Rund 40 Prozent der großen Unternehmen in Deutschland bieten bereits Jobsharing-Modelle an – Spitzenreiter ist Daimler mit rund 250 Tandems.  

Von der Theorie in die Praxis

Bislang scheuen viele Unternehmen den Aufwand, den die Besetzung von Stellen im Jobsharing zunächst mit sich bringt. Deshalb haben Svenja Christen und Yannic Franken ein Tech-Unternehmen gegründet. Pair to Share bietet die automatisierte Umwandlung und Ausspielung von Vollzeitstellen in Jobsharing-Angebote. Auf der angebundenen Matchingplattform können sich Menschen mit gleichem Stelleninteresse via eines forschungsbasierten Matchingalgorithmus finden, kennenlernen und direkt auf die Stelle als Tandem bewerben. So erreicht das ausschreibende Unternehmen eine deutlich breitere Zielgruppe und hochqualifizierte Talente. Diese werden nicht in Teilzeit, sondern als Tandem auf Top Positionen gesetzt und garantieren so eine hohe Abdeckung der Stelle. Die zusätzliche Qualität, die ein Tandem mit einbringt, ist ein doppelter Gewinn! 

Der spannende Vortrag von Svenja Christen bildete den Auftakt zu einem lebhaften Austausch der zugeschalteten Personalverantwortlichen aus Partnerunternehmen. Viele konkrete Fragen konnten schon gleich beantwortet werden. Wie sich etwa die Tandems organisieren müssen, damit keine Informationen verloren gehen. Oder wie die Gehaltsstruktur innerhalb eines Tandems aussieht. Die Diskussion der Teilnehmenden quer durch alle Branchen zeigte, dass neue Arbeits(zeit-)Modelle in Zeiten der Fachkräftesicherung von entscheidender Bedeutung sind. 

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