1. Oktober 2023
Purpose geführte Unternehmen

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„From Trash to Cash“, so beschreibt Oliver Brunschwiler, der seit 2014 in Unternehmen wie NIKIN, EBP und FREITAG in mehreren Schlüsselrollen tätig ist, im Rahmen der Green Innovation Week das Geschäftsmodell von FREITAG. Das Unternehmen fertigt seit 1993 aus ausgedienten LKW-Planen Taschen. Diese sind mittlerweile begehrte Sammlerobjekte auf der ganzen Welt, denn jede Tasche ist ein Unikat. Nachhaltiges Wirtschaften ist das große Thema, das FREITAG mit einer innovativen Unternehmensstruktur und -kultur angeht, bei der Purpose, Agilität und Vertrauen im Fokus stehen.

Als ehemaliger Profi-Snowboarder kam Oliver Brunschwiler seinerzeit ins Nachdenken, als an seinem Hausberg immer seltener Tiefschnee zu finden war. Lösungen zum regenerativen Wirtschaften wurden seine Mission. Mit der Kreislaufwirtschaft als Schlüssel. Einen passenden Purpose, mit entsprechender Strategie, um Ressourcen zu schonen und geschlossene Kreisläufe im laufenden Geschäftsmodell zu implementieren, leitete er bei FREITAG ein.

Allein der Einkauf der ausgedienten LKW-Planen ist keine banale Angelegenheit. Eine Bestellung neuer Planen wäre um ein Vielfaches einfacher. Truckspotter beobachten den europäischen Markt und achten darauf, dass die Vielfarbigkeit gewährleistet ist. Denn nur Rot und Blau befriedigen die Kundenbedürfnisse nicht. Die alten Planen werden vor der Verarbeitung auf Schadstoffe im Labor getestet. Vor der Produktion der Taschen werden die gebrauchten Planen mit einem selbst entwickelten Waschmittel gereinigt – mit Wasser aus dem eigenen Regenwassertank. 

Es muss wehtun, damit sich zuerst das Verhalten und dann die Services und Produkte verändern können.

Oliver Brunschwiler

Upcycling allein greift dem Schweizer Unternehmen zu kurz. Geschlossene Kreisläufe sollen es sein. Dazu gehört, dass die Taschen langlebig und reparaturfähig sind. Sharing Economy zählt genauso zur Unternehmensphilosophie wie kompatible Systeme. Man muss das Material nicht besitzen. Deshalb arbeitet FREITAG im Projekt „Circular Truck Tarp“ mit Industriepartnern zusammen, um eine kreislauffähige Lastwagenplane zu entwickeln, die nach ihrem ersten Leben auf der Straße und im zweiten Leben als FREITAG-Tasche, wieder in einem geschlossenen Kreislauf landet. In Kooperation mit der Logistikbranche sind bereits Prototypen-Flotten zu Testzwecken on the road. „Die Branche ist sehr preissensitiv“, berichtet Oliver Brunschwiler. „Entscheidend ist unter anderem das Gewicht.“

Neue Wege

Das Unternehmen hat neben seinem Kerngeschäft mit Taschen und Accessoires noch andere Versuchsballons gestartet und bereits 2015 vollständig kompostierbare Textilien – ausschließlich in Europa hergestellt – entwickelt. Mit viel Akribie wurde eine neue Art des Knopfes, ein wiederverwendbarer Schraubknopf, designt. Denn herkömmliche Knöpfe landen üblicherweise ungenutzt auf den Mülldeponien der Welt. Das Patent dazu stellt FREITAG anderen Herstellern zur Verfügung. Außerdem haben die Schweizer Handy-Hüllen aus alten Skischuhen produziert.

Ein weiterer Coup sind Taschen aus Airbag-B-Ware, die Airbag-Qualitätsprüfungen nicht bestanden haben und ausgemustert wurden. FREITAG schenkt dem Gewebe eine zweite Chance. Die Frage, was re-upgecycelt und für Unikate genutzt werden kann, steht bei FREITAG immer im Vordergrund.

Purpose – Vertrauen ist alles

Agilität und Nachhaltigkeit spiegeln sich auch in der Organisationsstruktur von FREITAG. In dem holokratisch organisierten Unternehmen steht der Zweck der Organisation im Zentrum. Es herrscht eine Hierarchie der Kompetenzen, klassische Hierarchien und Strukturen gehören der Vergangenheit an. So kann jeder einzelne Mitarbeitende seine Stärken einbringen. 2018 wurde Oliver Brunschwiler von den Gründer*innen und Inhaber*innen zum “Lead Link”, dem Pendant zum Geschäftsführer, ernannt. In dieser und anderen Rollen prägte er das Wachstum und die Transformation des Unternehmens aus einer inklusiven, kompetenz-basierten Führungsstruktur heraus. Ende 2022 entschied er sich, seine operativen Aufgaben an ein Führungskollektiv zu übertragen damit er sich als Verwaltungsrat auf Projekte für die zirkuläre Transformation des Unternehmens fokussieren kann. „Holokratie ist die Organisationsform, die sich permanent anpasst und Kompetenzen fördert“, davon ist der 51-Jährige, der auch als Verwaltungsrat und Berater für andere nachhaltig orientierte Unternehmen tätig ist, überzeugt. „Talente müssen die Chance haben, mit Lösungen an die Oberfläche zu kommen, Durchlässigkeit, Orientierung und Sicherheit helfen dabei. In Rollen ist klar definiert, wer welche Entscheidungen – auch weitreichende – trifft.“

Transparenz ist bei FREITAG ein wichtiger Unternehmenswert. Fast alle Zahlen sind einsehbar. „Die Mitarbeitenden sollen sich frei fühlen, ohne direkten Chef, der anordnet, wie etwas getan werden soll. Lead Links und andere Führungskräfte sind Coaches und Befähiger*innen. Eine Kultur auf Augenhöhe fördert Kreativität und die Entwicklung neuer Ideen im Sinne der Strategie und des Purpose. Ein gesunder Umgang mit der Akzeptanz des Scheiterns bei Projekten mit explorativem Charakter, gehört unabdingbar dazu. Das wird bei FREITAG gelebt. So wird das hauseigene Freitag Laboratory of Progress selbstironisch mit “F.L.O.P.” abgekürzt. 

Die Struktur ist erfolgreich, die Fluktuation im Unternehmen gering. Dank der kompetenzzentrierten Struktur konnte das Unternehmen beispielsweise agil auf das veränderte Kaufverhalten während der Corona-Pandemie reagieren. „Die Läden waren geschlossen und unser Online-Shop boomte. Die Organisation hat sehr schnell Mitarbeitende umgeschult, die damit eine neue Rolle im Unternehmen einnahmen, um der Dringlichkeit gerecht zu werden“, erinnert sich Oliver Brunschwiler. Ein weiteres Merkmal des Unikate-Herstellers ist, nicht dem Trend zu folgen, wenn es dem Purpose des Unternehmens widerspricht. Am sogenannten Black Friday schließt FREITAG seinen Webshop. Stattdessen verlinken die Schweizer auf ein Tauschhandels-Portal für ihre begehrten Taschen.

Entschlossen und beharrlich

FREITAG unternimmt vielfältige Anstrengungen. So wurde der in Shanghai neu gebaute Flagship-Store – das Unternehmen erzielt 50 Prozent seines Umsatzes in Asien – unter zirkulären Prinzipien gebaut. Außerdem werden aktuell Produkte aus einem Monomaterial designt, die samt Oberstoff, Schnalle und Reißverschluss in Gänze geschreddert werden können, um das Recyclat wieder dem Kreislauf zuführen zu können.

Mit Blick auf die grüne Transformation stellt Oliver Brunschwiler fest: „Es braucht immer eine gewisse Dringlichkeit. Es muss wehtun, damit sich zuerst das Verhalten und dann die Services und Produkte verändern können. Ich möchte nicht dazu gezwungen werden, deshalb mache ich Unternehmen auf Anfrage fit für eine regenerative, zukunftsfähige Form der Wirtschaft – die der Zirkulärwirtschaft.

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