23. Oktober 2020
Nachhaltiger Erfolg auf der grünen Wiese

Traditionsbäckerei mit Freestander-Konzept

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Es ist ein ganz normaler Donnerstag in Bielefeld-Oldentrup. Der Name des Stadtbezirks bedeutet im Niederdeutschen eigentlich „Altes Dorf“. Einen Dorfkern samt Marktplatz sucht man hier jedoch vergebens. Wir sind um 11 Uhr mit Thomas Pollmeier in seinem Bäckerant verabredet. Mit Mühe ergattern wir einen der letzten Parkplätze – drinnen ist es so voll, wie es die Corona-Abstände zulassen. Normalerweise sind es 100 Sitzplätze drinnen und 120 auf der Terrasse. Der Freestander samt Back-Drive ist Blickfang und Anziehungspunkt zugleich. Und ziemlich einzigartig in der Bäckerei-Branche.

Drinnen duftet es nach frischen Backwaren. Die Gäste bedienen sich am reichhaltigen Büfett. Wir setzen uns zum Gespräch nach draußen. „Wir sind so etwas wie die ,Bäckerei zum Goldenen Hirsch’“, lacht Thomas Pollmeier. „Vor 40 Jahren hatte jedes Viertel eine Dorfkneipe, wo man sich traf. Das gibt es heute so nicht mehr, weil sich die Gesellschaft gewandelt hat. Zu uns kommen junge und ältere Gäste, Arbeiter und Angestellte des benachbarten Technologiezentrums und Familien mit Kindern. Das ist bunt gemischt.“

Mit Blick auf das 2014 eingeweihte Gebäude und das moderne Interieur erinnert tatsächlich nichts an eine Dorfgaststätte. Das Konzept des Freestanders ist wohldurchdacht. Angefangen bei der großzügigen Gestaltung, die auch ohne Corona-Schutzmaßnahmen genügend Platz für Kinderwagen – Spielecke und Spielplatz gibt es übrigens auch – lässt, bis hin zu der ausgefeilten vernetzten Technik: von den Kassen bis zu den Öfen. Die Klima- und Kühlanlagen sind nachhaltig über eine Anlage auf dem Dach konzipiert. In die Technik wurde ein hoher sechsstelliger Betrag investiert. Aber wie kommt man überhaupt auf die Idee? „Ich gucke gern über den Tellerrand und habe das Glück technikbegeistert zu sein. Viele Ideen kommen auch aus dem Freundeskreis oder von Mitarbeitern. Das mache ich ja nicht alles alleine. Dann versuche ich, Innovationen aus anderen Branchen auf das Bäckerhandwerk zu übertragen“, sagt Thomas Pollmeier, der in seiner Freizeit gern an seinem Motorrad schraubt. In diesem Falle ist es das Konzept der Systemgastronomie. „Die Menschen essen häufiger außer Haus und hier bieten wir eine gesündere Alternative zu Fast Food. Für die mit wenig Zeit gibt es den Back-Drive-Schalter.“ Außerdem können Firmen das Kaminzimmer für Besprechungen nutzen, Beamer, Leinwand, WLAN sind vorhanden. Ein klassischer Kaffeeklatsch geht natürlich auch.

Wie aus 55 Cent eine Investition wurden

Auf der Suche nach einem geeigneten Standort wurde der Bäckermeister an der Oldentruper Straße fündig und schrieb einen Brief an die BGW (Bielefelder Gesellschaft für Wohnen und Immobiliendienstleistungen mbH), die gerade das Technologiezentrum übernommen hatte und über die Aufwertung des Quartiers mittels einer Gastronomie nachdachte. Aus der einst „toten Ecke“ ist durch das Bäckerant etwas Quicklebendiges entstanden. „Ich kann mich noch sehr genau an den Moment erinnern, als der Freestander fertig war und wir hier den Betrieb geprobt haben. Wir haben uns bewusst für ein Soft Opening entschieden und zunächst nur Mitarbeiter eingeladen, um die Abläufe zu testen. Da habe ich mich umgeschaut und gedacht, was in zwei Jahren aus einem Brief mit einer 55-Cent-Marke so entstehen kann. Das alles würde allerdings nicht ohne die Liebe und Empathie der Mitarbeiter funktionieren“, betont Thomas Pollmeier, der 1991 in das Familienunternehmen einstieg, dessen Wurzeln bis in die 1920er Jahre reichen. „Nicht nur, was die tägliche Arbeit anbelangt, viele Ideen kommen von den Mitarbeitern. Bei der Kalkulation in diesem Bäckerant war ich immer von Öffnungszeiten montags bis freitags ausgegangen, bis eine Mitarbeiterin vorschlug, am Wochenende ein Frühstücksbüfett anzubieten. Ich war ehrlich gesagt nicht so recht überzeugt, aber die Mitarbeiterin blieb dran, bis ich gesagt habe: Okay, wir versuchen es. Heute ist der Sonntag unser stärkster Tag“, lacht der Brot-Sommelier.

Elektro-Pioniere

Am Bäckerant kann man übrigens nicht nur den eigenen Hunger, sondern auch den seines E-Autos stillen. Eine eigene Ladestation sorgt für Energie. Vier E-Fahrzeuge gehören bereits zur Flotte und natürlich der erste europaweite Groß-Lkw mit Elektroantrieb. „Mittelfristig stellen wir auf E-Mobilität um, das bedeutet, wenn wir ein Fahrzeug austauschen, wird es durch eins mit elektrischem Antrieb ersetzt“, erklärt Thomas Pollmeier. Sandra Weiß, Bezirkseinkaufscoach bei Pollmeier, ist viel unterwegs, besucht die 15 Fachgeschäfte in Bielefeld und der Region, brieft die Mitarbeitenden und berät bei der Warenpräsentation. Seit Ende Juli 2020 fährt sie einen Zoe und ist begeistert. „An der Ampel lasse ich jeden Benz stehen.“

Mit dem Thema Nachhaltigkeit hat sich Thomas Pollmeier, der seit 2002 im positiven Sinne gemeinsame Sache mit der Traditionsbäckerei Lechtermann macht und gemeinsam mit Hanno und Stefan Lechtermann den Zusammenschluss Lechtermann-Pollmeier leitet, schon früh auseinandersetzt. „Wir alle haben Kinder, die auch irgendwann nachgefragt haben, was wir für den Klimaschutz tun.“ Eigentlich fing alles mit den To-go-Bechern an. Seit Jahren schon kann die Kundschaft der 23 Lechtermann- und 15 Pollmeier-Fachgeschäfte seinen eigenen Kaffee- oder Teetassen mitbringen. Das spart jede Menge Müll und der Kundschaft 30 Cent pro Becher.

Offen sein für Zukunftsthemen

„Wir haben konsequent darüber nachgedacht, in welchen Bereichen wir Plastik ganz weglassen oder sinnvoll ergänzen können“, unterstreicht Thomas Pollmeier den Anspruch des Unternehmens. „Wir wollen gucken, was geht und nicht von vornherein Dinge ausschließen.“ Und es geht so einiges. Zum Beispiel befindet sich auf dem Dach der Backstube und der Produktionshalle in Vilsendorf eine Photovoltaik-Anlage, die u. a. für die „Betankung“ der E-Lkw sorgt. Dadurch werden etwa 15.000 Liter Diesel pro Jahr eingespart. Die Anlage konnte beispielsweise an einem einzelnen Vormittag im Mai 2020 so viel Strom gewinnen und speichern, dass 120 kg CO2 eingespart wurden. Das entspricht 25.000 Handyladungen, 330 Waschmaschinenladungen oder rund 1.000 Kilometer mit Europas erstem Elektro-Bäcker-Lkw. Vortagsläden, Kooperation mit den Bielefelder Tafeln sorgen dafür, dass von den wertgeschätzten Lebensmitteln, deren Zutaten überwiegend aus der Region kommen, möglichst wenig weggeworfen wird.

Auch beim Thema Nachhaltigkeit sind die Mitarbeiter mit im Boot. „Da wir coronabedingt keine Kostproben über die Theke reichen dürfen, wollten wir unseren Kunden gern zwei Scheiben Brot in einem Tütchen zum Probieren mitgeben. Ich war für eine durchsichtige Plastiktüte, damit man das Brot sieht. Ich hatte nicht weitergedacht, bis eine Mitarbeiterin sagte: ,Aber Herr Pollmeier, das sind wir doch nicht.’ Das Brot kommt nun selbstverständlich in Papier daher.“

Mutig sein, neue Wege gehen, offen sein, welche Innovationen für ein Traditionshandwerk adaptiert werden können. Thomas Pollmeier hat es gewagt und liegt mit seinen Bäckerants auf Erfolgskurs. Drei Freestander – zwei mit Back-drive – sind es bereits. Und es sollen noch mehr werden. Bei allem Spaß an der Technik und dem Gestalten: Den Duft von frischem Brot in der Backstube, den vermisst Thomas Pollmeier schon noch oft.

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