4. November 2022
Innovationskraft aus Bielefeld

Vernetzt voran

Stories

In Zeiten schnellen technologischen Wandels und angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen ist Innovation eine der Voraussetzungen, um die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen, Städte und Regionen zu sichern. Zukunftsweisende Perspektiven bieten zahlreiche bemerkenswerte Forschungsprojekte der Bielefelder Hochschulen. Sie zeichnen sich durch ihre besondere Innovationskraft aus. Dabei schafft die Vernetzung unterschiedlicher Akteure Verbindungen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.


Smart Water Futures

KI für die Trinkwasserversorgung

Dr. Barbara Hammer von der Universität Bielefeld; Foto: Sarah Jonek

Sauberes Trinkwasser gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Die Trinkwasserversorgung angesichts des Wachstums von Städten zu sichern, ist daher eine gewaltige Zukunftsaufgabe. In dem Projekt „Smart Water Futures“ forschen Informatik-Professorin Dr. Barbara Hammer von der Universität Bielefeld und drei weitere europäische Wissenschaftler*innen an neuen Technologien. Künstliche Intelligenz spielt dabei eine entscheidende Rolle. 

Dass Bielefeld bei dem vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderten Projekt mit im Boot ist, unterstreicht die Forschungsstärke der Bielefelder Hochschule. Die vier Forschenden erhalten insgesamt zehn Millionen Euro für die kommenden sechs Jahre, davon gehen allein 2,4 Millionen Euro an die Universität Bielefeld. Der ERC fördert das Projekt der vier Wissenschaftler*innen mit dem Synergy Grant – einer der höchstdotierten Forschungsförderungen der Europäischen Union. Damit ist die Bielefelder Professorin Teil eines der prestigeträchtigsten Projekte der EU. Das Projekt zur Sicherung der Trinkwasserversorgung startete im letzten Jahr. „Dass Bielefeld auf dem Projekt draufsteht, ist richtig gut“, freut sich Dr. Barbara Hammer.

Klimawandel, wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Entwicklungen, aber auch der Umgang jedes Einzelnen mit der knappen Ressource Wasser, spielen eine wesentliche Rolle für die künftige Trinkwasserversorgung. „Der steigende Wasserbedarf braucht neue technologische Methoden“, betont die Professorin für Maschinelles Lernen am CITEC-Cluster der Uni Bielefeld mit Blick auf die komplexen Netzwerke der Wasserreinigungs- und Verteilungssysteme. Ziel von „Smart Water Futures: Designing the Next Generation of Urban Drinking Water Systems“ ist es, eine theoretische Grundlage für die Gestaltung intelligenter Wassersysteme zu entwickeln und Tools bereitzustellen, mit denen Forschende, aber auch Betreiber*innen, Einsichten generieren – bis hin zur Politik. „KI zu nutzen, ist eine Riesenchance im Bereich kritischer Infrastruktur“, macht die Wissenschaftlerin aus dem Forschungszweig des maschinellen Lernens deutlich. Sie möchte die Trinkwasserversorgung in der Welt resilienter gestalten.


FH Bielefeld ist innovative Hochschule

InCamS@BI kann kommen

Professorin Dr. Ingeborg Schramm-Wölk, Präsidentin der FH Bielefeld; Foto: Studio Hirschmeier

Die Innovationskompetenz der Fachhochschule Bielefeld überzeugte im Wettbewerb der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“. Die FH Bielefeld wird für den Innovation Campus for Sustainable Solutions „InCamS@BI“ ab 2023 für fünf Jahre 8,8 Mio. Euro erhalten, um ihr zukunftsfähiges Profil in Forschung, Lehre und Transfer auszubauen. Dabei im Fokus: die Materialforschung und die „Circular Economy“.

„Wir werden die Chance nutzen, die Profilierung des Schwerpunktes Materialforschung gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern von der Universität Bielefeld und aus der Wirtschaft voranzutreiben. Gleichzeitig schaffen wir leistungsfähige Strukturen, die die strategische Rolle der FH Bielefeld im regionalen Innovationsökosystem stärken. Über allem steht das Ziel, die Transformation unserer Gesellschaft in eine leistungsfähige öko-soziale Marktwirtschaft voranzutreiben“, erklärt Prof. Dr. Ingeborg Schramm-Wölk, Präsidentin der Fachhochschule Bielefeld.

Professorin Dr. Sonja Schöning vom BIfAM der FH Bielefeld; Foto: P. Pollmeier

Der mit dem Gesamtvorhaben verbundene forschungsbasierte Transfer zielt darauf, Kunststoffe für die Kreislaufwirtschaft unter Beachtung der allgemeinen Klimaschutzziele zu optimieren. Während der fünfjährigen Projektlaufzeit haben sich die Akteur*innen vorgenommen, 125 potenzialträchtige Ideen zu generieren, von denen ein Großteil zu tragfähigen Projektskizzen weiterentwickelt werden soll. Die Forschungsaktivitäten im Rahmen von InCamS@Bi verteilen sich dabei auf die zwei Teilprojekte „Creative Lab“ und „Innovation Lab“ unter der Leitung von Prof. Dr. Sonja Schöning und Prof. Dr. Christian Schröder vom Bielefelder Institut für Angewandte Materialforschung (BIfAM). Prof. Dr. Sonja Schöning vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der FH Bielefeld lehrt Physik und ist als InCamS@Bi-Teilprojektleiterin auch die führende Expertin für experimentelle Materialforschung im Projekt: „Wir werden uns hinsichtlich der Materialforschung im Rahmen von InCamS@Bi unter anderem mit der Entwicklung von kreislaufgeeigneten Kunststoffprodukten befassen. Der Einsatz rezyklierter und nachwachsender Rohstoffe zur Herstellung von Kunststoffen wird gezielt in den Blick genommen. Unabdingbar ist dafür die Verzahnung mit der Produktentwicklung: Bereits in der Konzeptphase eines Produkts müssen die Kreislaufeignung in den Blick genommen und die Rohstoffauswahl, die Produktion und das Design aufeinander abgestimmt werden, denn diese bestimmen die Eigenschaften des Produkts.“

Durch direkte Ansprache und niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten sollen auch Unternehmen kleinerer und mittlerer Größe als neue Kooperationspartner*innen gewonnen werden. „Mit InCamS@BI wird die FH Bielefeld die bereits bestehenden Transferstrukturen weiterentwickeln und in ein Transferinstitut überführen, das mit neuen, innovativen Formaten den Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in OWL und darüber hinaus aktiv gestaltet“, unterstreicht Prof. Dr. Anant Patel, Vizepräsident für Forschung und Entwicklung der FH Bielefeld. Das Projekt soll im Anschluss an die Förderphase als Institut in der Hochschule so verankert sein, dass die Aktivitäten aus eigenen Mitteln fortgeführt und die geschaffenen und validierten Instrumente auf andere Forschungsbereiche übertragen werden können. Für innovative Impulse sorgt die hohe Vernetzung aller Mitwirkenden von FH, Universität und externen Partner*innen.


Spitzenforschung an der Uni Bielefeld

Die KI-Erklärer

Etwas zu erklären ist für Menschen selbstverständlich. Auf Nachfragen einzugehen ebenfalls. Noch kann Künstliche Intelligenz (KI) dies nicht. An der Universität Bielefeld soll KI für solche Dialoge fit gemacht werden. Dafür beschäftigen sich Wissenschaftler*innen in Instituten und einer Reihe von Projekten mit dem Phänomen Ko-Konstruktion. Koordiniert wird dieses Forschungsfeld an der Universität Bielefeld von den Informatiker*innen Professor Dr. Philipp Cimiano und Professorin Dr.-Ing. Britta Wrede. Cimiano befasst sich an der Technischen Fakultät mit semantischen Datenbanken, Wrede arbeitet an der Medizinischen Fakultät OWL zu Medizinischen Assistenzsystemen.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Ko-Konstruktion? 

Professor Dr. Philipp Cimiano, Universität Bielefeld; Foto: M. Adamski

Cimiano: Von der Wortbedeutung kommt der Begriff daher, etwas zusammen zu konstruieren – und das, was konstruiert wird, sind in unserem Fall Erklärungen. So eine Interaktion läuft ganz natürlich zwischen Menschen ab, wenn sie sich zu einem Thema austauschen, über das sie verschieden viel wissen oder ein unterschiedliches Verständnis haben. Durch ständiges Nachfragen und Anpassen der Erklärung werden dann Missverständnisse ausgeräumt und es entsteht eine gemeinsam entwickelte Erklärung. 

Wrede: Wird in einem Gespräch etwas erklärt, ist es so, dass die fragende Person – im Englischen ,Explainee‘ – zu einem Aspekt, der ihr unklar ist, nachfragt. Wenn eine Erklärung so unverständlich ist, dass der oder die Explainee keine Gelegenheit hat, eine Frage zu stellen, kann keine Ko-Konstruktion entstehen. Ko-Konstruktion kann auch zwischen Menschen und künstlich intelligenten Systemen wie Robotern oder auch Assistenzsystemen ablaufen. Wir arbeiten daran, die Grundlagen für diese Erklärprozesse zu verstehen, um sie in Maschinen zu integrieren. 

Warum ist diese Art der interaktiven Erklärung überhaupt wichtig?

Professorin Dr.-Ing. Britta Wrede, Universität Bielefeld; Foto: M. Adamski

Wrede: Ein Vorteil von Ko-Konstruktion ist, dass die Erklärungen individuell auf die Fragesteller*innen zugeschnitten werden. Hinzu kommt, dass die Explainees bei der Entwicklung der Erklärung mitwirken. Studien haben gezeigt, dass es für das Verstehen wichtig ist, eine aktive Rolle einzunehmen. Wenn eine Person aktiv nachfragt, werden mehr kognitive Prozesse angestoßen, zum Beispiel die Formulierung von Alternativerklärungen. Wenn etwa ein Patient in einer ko-konstruktiven Art Informationen zu einem medizinischen Befund erklärt bekommt, hat er während des Erklärprozesses schon viele Fragen gestellt und viel über mögliche Zusammenhänge nachgedacht. Das erleichtert ihm, später eine Entscheidung über eine Operation oder medizinische Behandlung zu treffen.

Ko-Konstruktion ist ein zentrales Thema in dem Transregio-Sonderforschungsbereich „Erklärbarkeit konstruieren“, der gemeinsam von den Universitäten Bielefeld und Paderborn betrieben wird. Was genau steckt dahinter?

Cimiano: Künstliche Intelligenz ist in vielen Lebensbereichen unseres Alltags präsent und trifft Entscheidungen – sie empfiehlt uns beispielsweise, welche Nachrichten für uns interessant sein könnten. In der Medizin ist KI bereits eine wichtige Stütze, um unter anderem Röntgenbilder auszuwerten. Die meisten dieser Prozesse finden jedoch lediglich in Form von komplizierten Algorithmen im intelligenten System selbst statt, ohne dass Benutzer*innen Informationen darüber erhalten, warum die KI diese oder jene Entscheidung getroffen hat. Das ist besonders dann ein Problem, wenn Menschen auf dieser intransparenten Grundlage Entscheidungen treffen müssen. Die rund 60 Wissenschaftler*innen im Transregio der Universitäten Bielefeld und Paderborn forschen daran, wie KI für die Benutzer*innen erklärbar werden kann. Das Ziel ist es, Modelle zur Konstruktion von Erklärbarkeit auf KI-Systeme zu übertragen.

Noch ist die Forschung ganz am Anfang, aber was wären denkbare Einsatzmöglichkeiten?

Wrede: Der Einsatz ist prinzipiell überall möglich, wo KI aktuell schon eingesetzt wird. Gerade aber in Prozessen, in denen die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen elementar ist, wie bei Diagnosen in der Medizin oder in der Rechtsprechung, ist die Anwendung erklärbarer KI-Systeme sinnvoll. Zudem müssen auch Personen ohne Vorwissen zu KI mit diesen Systemen arbeiten können.

Cimiano: In dem Verbundprojekt Kinbiotics arbeiten wir zum Beispiel an einem KI-gestützten Assistenzsystem, das medizinisches Fachpersonal unterstützen soll über Antibiotikatherapien zu entscheiden. Es soll Empfehlungen für individuelle Patient*innen geben mit dem Ziel, Wirksamkeit zu maximieren und Nebenwirkungen zu minimieren. An dem Projekt sind unter anderem die drei Trägerkliniken des Universitätsklinikums OWL beteiligt. Das System soll Mediziner*innen ausreichend Informationen an die Hand geben, damit sie mit gutem Gewissen entscheiden können. Unser Leitprinzip ist immer: Technische Systeme sollen die Nutzer*innen nicht bevormunden.

Gibt es bereits praktische Anwendungsbeispiele?

Wrede: Wir befassen uns aktuell damit, EKG-Daten mit KI auswerten zu lassen, um ein mögliches Vorhofflimmern zu ermitteln. Dafür kooperieren wir mit einem Verbundprojekt, an dem der Neurologe Professor Dr. med. Wolf-Rüdiger Schäbitz vom Evangelischen Klinikum Bethel und der Medizinischen Fakultät OWL beteiligt ist. In unserer Studie gehen wir der Frage nach, ob es möglich ist, durch einen ko-konstruktiven Erkläransatz der KI den medizinischen Expert*innen neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Die Idee ist, dass die KI helfen könnte nachzuvollziehen, aufgrund welcher Merkmale sie eine bestimmte Entscheidung getroffen haben. Wenn medizinische Expert*innen die Möglichkeit hätten, ein System interaktiver zu befragen, können sie auf neue Zusammenhänge zwischen Merkmalen stoßen, auf die sie vorher nicht gekommen sind. 

Cimiano: Einer der Anwendungsfälle in meiner Arbeitsgruppe ist die medizinische Diagnose von Epilepsie. Epilepsie ist ein relativ schwieriges Krankheitsbild und schwierig zu diagnostizieren. Die Diagnose hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel wie viele Anfälle es gibt, wie stark sie sind, in welchen Phasen sie sich wiederholen und was genau bei den Anfällen passiert. Wir entwickeln ein System, das Mediziner*innen bei der Diagnose unterstützen kann. Die Maschine muss dafür über Hintergrundwissen zur Erkrankung verfügen, um Rückfragen stellen können. 

Was ist das Besondere in diesem Bereich der Forschung der Universität Bielefeld? 

Wrede: Erklären ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Wie komplex ein solcher Vorgang ist, wird beim Versuch klar, einen solchen Prozess auf eine KI zu übertragen. Um der Komplexität gerecht zu werden, braucht es Spezialist*innen aus unterschiedlichen Disziplinen. Deswegen kooperieren zum Thema Ko-Konstruktion an der Universität Bielefeld Forschende aus Informatik, Robotik, Medizin, Neurobiologie, Linguistik, Psychologie, Sportwissenschaft und Soziologie.


Text: Corinna Bokermann

Auszug aus: DAS KOMMT AUS BIELEFELD, Ausgabe 2022: Perspektiven

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