20. Dezember 2023
Bindung durch Bildung

Zu den Chancen von Qualifizierung und Weiterbildung für Unternehmen

Foto: Fachhochschule des Mittelstands (FHM)

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Unsere Arbeitswelt wandelt sich rasant. Berufsbilder und Kompetenzprofile verändern sich, wie auch die Form und Kultur des Arbeitens. Denken wir nur an den Digitalisierungsschub, beschleunigt durch die zurückliegenden Pandemiejahre. Bedingt durch den deutlich erhöhten Arbeitskräftemangel erlangen Qualifizierung und Weiterbildung von Mitarbeitenden einen immer höheren Stellenwert. Zum Fachgespräch „Bindung durch Bildung“ trafen sich Vertreterinnen aus Hochschulen und Kammern, um sich gemeinsam über Strategien und konkrete Qualifizierungsangebote für Unternehmen auszutauschen und diese an die Wirtschaft zu adressieren.

Moderiert von Brigitte Meier, Prokuristin der WEGE (Wirtschaftsförderung für Bielefeld), beteiligten sich am Gespräch Gastgeberin Prof. Dr. Anne Dreier, Rektorin und Geschäftsführerin der Fachhochschule des Mittelstandes (FHM), Prof. Dr. Anja Abendroth (Junior Professorin für technischen und sozialen Wandel an der Universität Bielefeld), Prof. Dr. Michaela Hoke (Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Hochschule Bielefeld), Dr. Maribel Illig (Leiterin des Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe) sowie Ute Horstkötter-Starke (Geschäftsführerin Berufliche Bildung und Leiterin der Akademie der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld). Für sie alle ist klar: Bildung schafft Mehrwerte für Unternehmen und Mitarbeitende. 

Brigitte Meier: Frau Abendroth, warum ist die Investition in Qualifizierung und Weiterbildung für die Unternehmen so wichtig? Was sagt die Forschung?

Anja Abendroth: Qualifizierung und Weiterbildung ist entscheidend, um die Mitarbeitenden enger an das Unternehmen zu binden. Es ist emotional wichtig und fördert die Loyalität. Denn Bindung entsteht aus positiven Erfahrungen. Ist ein Unternehmen bereit, in die Qualifizierung und Weiterbildung zu investieren, signalisiert das dem Mitarbeitenden nicht nur eine Wertschätzung, sondern steigert die Bereitschaft, sich einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Das ist ein Geben und Nehmen und sorgt für mehr Zufriedenheit. Neben dem emotionalen – oder auch affektiven – Commitment lässt sich zudem eine normative Bindung beobachten. Wird in meine Weiterbildung investiert, verspüre ich eine moralische Verpflichtung dem Unternehmen gegenüber. Außerdem gibt es das kalkulatorische Moment im Hinblick auf Aufstiegsmöglichkeiten und Karrieremöglichkeiten. Vor diesem Hintergrund wird Qualifizierung und Weiterbildung immer relevanter. 

Brigitte Meier: Von welchen Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Ihren Einrichtungen können Unternehmen profitieren?

Maribel Illig: Unser Fokus im Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer liegt auf dem unmittelbaren Nutzen für die Praxis. Durch den technologischen Wandel ist ein enormer Anpassungsdruck entstanden, um den spezifischen Anforderungen in den unterschiedlichen Handwerkssparten gerecht zu werden. Wenn zum Beispiel gelehrt wird, wie eine neue Maschine zu bedienen ist. Deshalb sind wir im engen Austausch mit den Betrieben, damit wir durch unseren handlungsorientierten Unterricht flexibel auf sich wandelnde Bedürfnisse im Bereich Qualifizierung und Weiterbildung eingehen können. So greifen wir beispielsweise das Thema Elektromobilität mit seinen unterschiedlichen Facetten – also Reparatur und Wartung von E-Autos oder Installation von Ladeinfrastruktur – in den verschiedenen Gewerken auf. Ein wichtiges Thema ist für uns die Nachfolge. Etwa 800 Betriebe im Jahr stehen vor der Herausforderung ihr Unternehmen in neue Hände zu geben. Im Handwerk bleibt der Betrieb häufig in der Familie. Wir bereiten mit unseren Angeboten junge Nachwuchskräfte auf potenzielle Führungsrollen vor und beraten Betriebe darüber hinaus zu Themen wie Digitalisierung, Innovation, Technologie oder beispielsweise auch zu IT-Sicherheit und Datenschutz. Auszubildende erhalten bei uns Informationen und Angebote für ihre nächsten Karriereschritte. 

Michaela Hoke: Bildung hört nie auf. Wir lernen unser gesamtes Leben und Bildung wird zunehmend individualistischer, weil Berufsbilder immer spezifischer werden. Und auch das Wissen und die Methoden verändern sich. Berufspraktika sind integraler Bestandteil des Studiums an der HSBI und befruchten die Lehre. Das bedeutet, dass nicht „nur“ die Studierenden von der Praxisphase in Unternehmen oder anderen Einrichtungen und Organisationen profitieren, sondern auch wir als Hochschule. Deshalb überarbeiten wir regelmäßig unsere Studiengänge, unterziehen sie einem Update, damit ein enger Zusammenhang zu den aktuellen Anforderungen der Berufspraxis  besteht. Geeignete Formen der Weiterbildung können auch kleinere Lerneinheiten wie Zertifikate sein. Es muss nicht immer gleich ein ganzes weiterbildendes Masterstudium sein. Im Rahmen von berufsbegleitenden Studiengängen besteht zudem die Möglichkeit, Berufstätigkeit und Studium miteinander zu verknüpfen. Alles wird künftig durchlässiger, individueller auf die einzelne Person ausgerichtet sein und auch diverser, wenn es um unterschiedliche Bildungshintergründe geht. Dabei sollte Qualifizierung und Weiterbildung auch Angebote beinhalten, die unabhängig von Raum und Zeit gestaltet sind. So kann beispielsweise die Besprechung einer Bachelor-Arbeit zwischen Betreuenden und Studierenden, der gerade seine Praxisphase ableistet, auch einfach virtuell stattfinden.  

Anne Dreier: Als einzige Hochschule in Deutschland, die gezielt für den Mittelstand ausbildet, sind unsere Studiengänge an der FHM praxisorientiert und stark basierend auf individuellen Kompetenzen. Jeder Studierende an der FHM erhält eine grundlegende Wirtschaftskompetenz. Unsere Skills-Box umfasst Business, Professionell und Smart Skills. So lernt jede*r Studierende beispielsweise, wie eine Präsentation aufzubauen und zu halten ist, oder wie man Gespräche moderiert. Wichtig ist auch die sechsmonatige Praxisphase in Unternehmen, Gesundheitseinrichtungen oder Praxen für Psychologie – je nach Studiengang. Wir arbeiten mit regionalen Kooperationspartnern, zum Beispiel mit der Handwerkskammer OWL, zusammen, um Doppelqualifikationen zu vermeiden und um berufliche und akademische Qualifikation optimal zu verzahnen. Weil wir neben einem Vollzeitstudium auch Studiengänge in Teilzeit oder komplett digital in der Online-University anbieten, bieten wir auch Menschen, die voll im Arbeitsleben stehen, eine flexible Studienmöglichkeit je nach ihren eigenen Zeitmöglichkeiten an. 

Foto: Fachhochschule des Mittelstands (FHM)

Ute Horstkötter-Starke: Als IHK sind wir zum einen für die berufliche Erstausbildung zuständig. Als zweite Säule betreiben wir die IHK-Akademie, unsere Basis für Weiterbildung und Qualifikation. Wir beraten sowohl die Beschäftigten als auch die Unternehmen. Mit unserem Projekt „Fit für die Ausbildung“, das sich an Schüler*innen der Abschlussklassen richtet und Auszubildende im ersten Jahr, haben wir auf die Forderung von Seiten der Wirtschaft nach mehr Ausbildungsreife reagiert. Unsere Weiterbildungsangebote richten sich an alle. Wir holen uns Expertise von außen und haben uns bewusst gegen festangestellte Lehrende entschieden. So können wir flexibel auf sich wandelnde Bedarfe reagieren. Möglich sind mehrstündige Online-Kurse, mehrmonatige Zertifikatskurse bis hin zu höherer beruflicher Bildung mit einem IHK-Abschluss. Die meisten Angebote können gut nebenberuflich absolviert werden, wobei wir inhaltlich alle Zielgruppen ansprechen – bis hin zur Vorstandsetage. Es werden Leadership-Programme, aber auch die Vermittlung von Soft Skills angeboten. In engem Austausch mit Unternehmen experimentieren und entwickeln wir immer wieder Neues. Unsere Mindestteilnehmehmendenzahl beträgt eins – nach oben sind die Grenzen offen. Die Unternehmen fordern die Qualifizierung ein, wie zum Beispiel bei Meisterpositionen. Werden diese nicht besetzt, könnte der Betrieb gefährdet sein. Deshalb ist das, was wir hier alle in unserer Funktion als Vertreterinnen von Bildungseinrichtungen tun, so wichtig für die Bindung der Unternehmen an den Standort.  

Brigitte Meier: Wie verändert sich das Lernen? Und welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?

Anne Dreier: Die Studierenden haben persönliche Vorstellungen und Erfahrungen, die sie weiterentwickeln möchten, genauso wie die Unternehmen konkrete Anforderungen an zukünftige Fach- und Führungskräfte stellen. Dies zu berücksichtigen, ist unser täglicher Job. Dazu gehören auch die großen Themen, wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung und KI. Wir beschäftigen uns zurzeit intensiv mit ChatGPT und haben gerade die Zukunftswerkstatt KI gegründet. Welchen Nutzen und welche Risiken sind mir künstlicher Intelligenz in der Hochschulbranche verbunden, zum Beispiel mit Blick auf die Validität von Prüfungsleistungen?
An der FHM denken wir über Studienmodelle für verschiedene Lebensphasen unserer Studierenden nach. Sind die Studienangebote familien-, frauen- und auch pflegeorientiert konzipiert, können Mitarbeitende, die schon im Unternehmen sind – und in Anbetracht des Arbeitskräftemangels werden das nicht mehr –, bestmöglich qualifiziert und auch an das Unternehmen gebunden werden. Mitarbeiterbindung spielt neben der Qualifizierung zukünftig eine große Rolle. 

Ute Horstkötter-Starke: Das Lernen verändert sich durch Online- und hybride Angebote. Aber wir haben auch beobachtet – insbesondere nach der Corona-Pandemie –, dass sich viele Menschen auf Präsenz-Seminare gefreut haben. Da wir sehr spezifische und individualisierte Angebote brauchen, müssen diese teils digital stattfinden. In jedem Fall bieten wir offene Gruppen, zu denen sich Mitarbeitende verschiedener Unternehmen zusammenfinden und einen inspirierenden Austausch pflegen. Karrierewege sind heute nicht mehr linear. Früher wurde die Ausbildung oder ein Studium absolviert, woran sich der Einstieg in den Beruf anschloss. Heute sind es diverse Mosaiksteine. Es werden auch Weiterbildungen absolviert, die nicht unmittelbar auf die Karriere einzahlen. Der Trend geht eher in Richtung sinnstiftende Arbeit und Wertschätzung. Vielfach steht die Karriere gar nicht mehr so im Fokus.

Anja Abendroth: Wir haben zu Beginn der Corona-Pandemie gesehen, dass bei uns an der Uni die Umstellung auf digitales Lernen fast über Nacht möglich war. Wir sind jetzt wieder überwiegend zu Präsenzveranstaltungen zurückgekehrt – aber mit Zusatzangeboten. Sprechstunden von Betreuenden werden bei Bedarf der Studierenden auch per Zoom abgehalten. Auch Prüfungen können digital abgenommen werden. Und auch unsere Verwaltungsprozesse haben wir digitalisiert und vereinfacht. Gerade für die jüngere Generation ist die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wichtig. Das gilt es, weiter zu denken, indem man verschiedene Lebensformen und Lebensphasen auch in puncto Qualifizierung berücksichtigt. Es besteht ein individualisierter Bedarf an Inhalten und Formen der Weiterbildung. 

Anne Dreier: Flexible Bildungsangebote werden sehr stark von Frauen nachgefragt. Das sehen wir ganz konkret bei unserem Bachelor-Studiengang Sozialpädagogik & Management. Viele Erzieherinnen benötigen eine akademische Qualifikation, um die Leitung einer Kita oder eines Jugendhauses übernehmen zu können. Diese Frauen, die berufsbegleitend studieren möchten, können natürlich nicht zu klassischen Studienzeiten in die Hochschule kommen. Für diese Zielgruppe sind die Online-University oder Hybridformate optimal geeignet, um Studium und Beruf sowie Privatleben in Einklang zu bringen. In unserer Online-University arbeiten wir mit Slides, Podcasts, Quizzes und digitalen Lehrmaterialien sowie einem eigenen Online-Tutor, den wir selbst programmiert haben. Diesen können Studierende jederzeit fragen, wo sie welche Studieninhalte finden. Die Zukunft der Bildung wird individueller und gleichzeitig technologischer.  

Maribel Illig: Wenn wir über die digitalen Möglichkeiten sprechen, dann denken wir immer entlang der Prozesse. Neben den digital angereicherten Lerninhalten, die in sämtlichen Gewerken eingesetzt werden, werden auch Fertigungsprozesse immer digitaler. Von der Konstruktion bis zur Einstellung der CNC-Maschine ist der Prozess digital, aber auch im Friseurbereich ist die Online-Terminbuchung mit dem CRM und dem digitalen Kassensystem verbunden. Die Berufsbilder ändern sich also schnell, deswegen brauchen wir lebensbegleitende Qualifikationen. Dies muss in den Köpfen der Politik und in der Gesellschaft verankert werden.

Brigitte Meier: Mit der grünen Transformation entstehen neue Berufe und Qualifizierungsbedarfe. Wie sieht die Nachfrage aus und welche Angebote schaffen Sie?

Maribel Illig: Wir haben die Klima-Akademie gegründet. Denn eine Klimawende funktioniert nur mit dem Handwerk. Dabei ist gar nicht so viel Umdenken erforderlich, denn das Handwerk achtet seit jeher auf einen sparsamen Einsatz von Ressourcen und darauf, dass Materialien wiederverwendet beziehungsweise zurückgebaut werden können. Zu den Klimaberufen gehören insbesondere Elektrotechnik und Sanitär-Heizung-Klimatechnik. Insbesondere im Bereich der Elektrotechnik steigt die Zahl der Auszubildenden an. Eines unserer berufsbegleitenden Angeboten umfasst zum Beispiel die zum*r Gebäudeenergieberater*in. Zu einem nachhaltigen Handeln gehört aus meiner Sicht auch die Kultur im Handwerk und der Umgang mit den Mitarbeitenden, sie  genau da einzusetzen, wo sie sich wohlfühlen. Auch das ist für mich nachhaltiges Wirtschaften.

Anne Dreier: An der FHM haben wir seit vier bis fünf Jahren eine starke Nachfrage in der wissenschaftlichen Weiterbildung zum*r Nachhaltigkeitsmanager*in und im Bereich des Master-Studiengangs Nachhaltigkeit- und Klimamanagement. Außerdem steigen bei uns die Studierendenzahlen im Bereich Gesundheit und Soziales. 

Ute Horstkötter-Starke: Das beobachten wir auch. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie ist das Bewusstsein für Gesundheit geschärft worden. Das gilt auch für den Aspekt, dass Unternehmensführungen verstärkt auf die Gesundheit von Mitarbeitenden achten. 

Michaela Hoke: Nachhaltigkeit ist in unsere Hochschulstrategie als Querschnittsaufgabe verankert. Kein Studierender verlässt die HSBI, ohne fachlichen Input zum Thema nachhaltiges Handeln und Wirtschaften gehört zu haben.

Anja Abendroth: Die Nachfrage nach der curricularen Verankerung von Nachhaltigkeit steigt stetig. Unsere letzte Studierendenumfrage hat gezeigt, dass eine große Mehrheit der Studierenden die Universität als Vorreiterin für das Thema sieht. Diesem Anspruch wollen wir in Zukunft noch stärker nachkommen. Wir ermutigen Studierende, Nachhaltigkeit als Querschnittthema in allen Fachbereichen zu verstehen. So haben wir beispielsweise in diesem Jahr den Nachhaltigkeitspreis für Abschlussarbeiten ausgeschrieben und es freut uns, dass so vielfältige Bewerbungen eingegangen sind. Auch in unserem Nachhaltigen Semester konnten sich Studierende und Mitarbeitende mit dem Thema Nachhaltigkeit an der Universität auseinandersetzen und diskutieren. Die hohe Anzahl an Teilnehmenden an den verschiedenen Formaten zeigte uns, dass ein großes Interesse an diesem Thema besteht.


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