30. September 2025
Wie Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mit Risiken leben
Ungewissheit – Forschung am CeUS Bielefeld
Klimakrise, Kriege, technologische Umbrüche – die Welt scheint von Unsicherheit geprägt wie selten zuvor. Am Center for Uncertainty Studies (CeUS) der Universität Bielefeld erforschen Prof. Dr. Andreas Zick, Prof.’in Dr. Silke Schwandt und Prof. Dr. Herbert Dawid, wie Menschen, Unternehmen und Staaten mit diesem Ungewissen umgehen. Ihr Ziel: Risiken besser verstehen, Chancen sichtbar machen – und durch interdisziplinäres Denken Wege finden, handlungsfähig zu bleiben.
Nimmt Unsicherheit Mut die Kraft und ruft dann Vernunft auf den Plan?

Zick: Wenn es mal so einfach wäre. Es kommt entscheidend darauf an, wie Staaten oder Unternehmen Unsicherheit definieren. Ist sie schädlich? Ist sie eher gefühlt oder rational nachvollziehbar? Und dann kommt es auf die Modelle an, auf die wir zurückgreifen können, um sie zu navigieren. Unsicherheiten und Ungewissheiten sind deshalb so relevant, weil vernunftgesteuerte Navigation manchmal nicht möglich ist und Ungewissheit durch einfache Regeln der Vernunft nicht navigiert werden kann. Mut kann dann verlorengehen, und wenn es schiefläuft, geben Populismus und einfache Sicherheitsversprechen den Ton an. Das macht Gesellschaften langfristig unsicherer.
Was war die Motivation zur Gründung des Bielefelder CeUS?
Schwandt: Das Center for Uncertainty Studies (CeUS) wurde Ende 2022 gegründet und reagiert auf die Beobachtung, dass angesichts der vielen multiplen Krisen in den Medien immer wieder von einem Age of Uncertainty oder gesteigerter Unsicherheit gesprochen wird. Wir wollten verstehen, wie es zu diesen Aussagen kommt und was die Menschen mit Unsicherheit verbinden, wie sie sie identifizieren und wie sie mit ihr umgehen. Gleichzeitig können die Umstände, die zur Diagnose der Unsicherheit führen, nicht von einem Forschungsteam allein untersucht und verstanden werden. Das CeUS soll verschiedene Disziplinen und Teams zusammenbringen, um ein besseres Verständnis zu befördern und gemeinsame Lösungen zu finden.
Wie funktioniert die Wissensplattform? Nimmt Unsicherheit Mut die Kraft und ruft dann Vernunft auf den Plan?
Zick: Wenn es mal so einfach wäre. Es kommt entscheidend darauf an, wie Staaten oder Unternehmen Unsicherheit definieren. Ist sie schädlich? Ist sie eher gefühlt oder rational nachvollziehbar? Und dann kommt es auf die Modelle an, auf die wir zurückgreifen können, um sie zu navigieren. Unsicherheiten und Ungewissheiten sind deshalb so relevant, weil die vernunftgesteuerte Navigation manchmal nicht möglich ist und Ungewissheit durch einfache Regeln der Vernunft nicht navigiert werden kann. Mut kann dann verloren gehen und wenn es schiefläuft, geben Populismus und einfache Sicherheitsversprechen den Ton an. Das macht Gesellschaften langfristig unsicherer.
Was war die Motivation zur Gründung des Bielefelder CeUS?

Schwandt: Das Center for Uncertainty Studies (CeUS) wurde Ende 2022 gegründet und reagiert auf die Beobachtung, dass angesichts der vielen multiplen Krisen in den Medien immer wieder von einem Age of Uncertainty oder gesteigerter Unsicherheit gesprochen wird. Wir wollten verstehen, wie es zu diesen Aussagen kommt und was die Menschen mit Unsicherheit verbinden, wie sie sie identifizieren und wie sie mit ihr umgehen. Gleichzeitig können die Umstände, die zur Diagnose der Unsicherheit führen, nicht von einem Forschungsteam allein untersucht und verstanden werden. Das CeUS soll verschiedene Disziplinen und Teams zusammenbringen, um ein besseres Verständnis zu befördern und gemeinsame Lösungen zu finden.
Wie funktioniert die Wissensplattform?
Zick: Als Vernetzungsplattform dient das CeUS vor allem dazu, Forschende verschiedener Disziplinen an der Uni Bielefeld zusammenzubringen, die aus unterschiedlichen Perspektiven über Unsicherheit nachdenken. Dazu veranstalten wir regelmäßig Uncertainty Research Afternoons für ein interdisziplinäres Publikum, wo verschiedene Forschungsprojekte vorgestellt werden. Zudem zielen wir auf eine Vernetzung in die internationale Forschungslandschaft zu Uncertainty und haben dazu unter anderem 2023 eine internationale Tagung veranstaltet. Dazu gibt es mehrere Uncertainty Talks pro Jahr von renommierten Wissenschaftler*innen. Wir geben eine Working Paper Series heraus und beteiligen uns auch an Formaten der Wissenschaftskommunikation.
Welche Forschungsprojekte gibt es und wie wird Wissen vermittelt?

Dawid: An der Uni Bielefeld und im Rahmen von CeUS gibt es sowohl inhaltlich als auch methodisch ein breites Spektrum an Forschung zum Umgang mit Unsicherheit und deren Wirkung. Um nur einige aktuelle Beispiele zu nennen: Wir untersuchen mittels Agenten-basierter Marktsimulation, wie sich der Umgang von Konsument*innen mit unsicheren und teilweise widersprüchlichen Signalen über neue Produkte auf deren Ausbreitung auswirkt. Wir werten Daten aus, die wir im Umfeld der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2024 erhoben haben, um besser zu verstehen, wie Personen auf Veränderungen der (gefühlten) Unsicherheit in verschiedenen Lebensbereichen – von Wirtschaft, Politik bis Gesundheit – reagieren und welche Muster sich dabei erkennen lassen. Wir entwickeln aber auch neue mathematische Modelle und Methoden, um zu charakterisieren, welche Entscheidungen unter Unsicherheit hinsichtlich bestimmter Zielvorstellungen optimal sind. Einige unserer Mitglieder reanalysieren auch ihre vorhandenen Daten, um besser zu verstehen, welche Ungewissheiten dort sichtbar werden und wie diese navigiert werden. Wir verbreiten unsere Erkenntnisse über klassische wissenschaftliche Kanäle, betreiben aber auch einen CeUS Blog und machen unsere Ergebnisse über Medien wie Zeitungen und Radio einem breiteren Publikum zugänglich.
Wie geht CeUS mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten um?
Schwandt: Unser Ansatz zielt darauf ab, dass Unsicherheit wahrgenommen werden muss und damit in gewisser Weise subjektiv ist. Außerdem unterscheiden wir verschiedene Ursachen der Unsicherheit. Krisen, Kriege oder Pandemien können beispielsweise als äußere Faktoren wahrgenommen werden. Es kann Ungewissheit und fehlendes Wissen sein oder persönliche Unsicherheiten und existentielle Nöte. Wir differenzieren soziale, politische oder wirtschaftliche Ursachen als Quellen für Unsicherheit, die immer wieder auch aufeinander bezogen sein können. Es ist besonders interessant und methodisch herausfordernd zu sehen, wie sich die verschiedenen Typen vermischen und einander bedingen.
„Unsicherheiten und Un- gewissheiten sind deshalb so relevant, weil vernunftgesteuerte Navigation manchmal nicht möglich ist und Ungewissheit durch einfache Regeln der Vernunft nicht navigiert werden kann.“
Prof. Dr. Andreas Zick
Was sind die Stärken des Bielefelder Ansatzes?
Dawid: Die Universität Bielefeld zeichnet sich seit jeher durch ihre interdisziplinäre Forschung aus. Diese interdisziplinäre Perspektive ist sicherlich eine Stärke des Bielefelder Ansatzes zur Unsicherheitsforschung. Die etablierten Konzepte und Methoden zur Beschreibung von Unsicherheit und zur Untersuchung des Umgangs mit Unsicherheit unterscheiden sich sehr stark zwischen unterschiedlichen Disziplinen. In CeUS versuchen wir, einen Ansatz zu entwickeln, der für verschiedene Disziplinen gut nutzbar ist, und damit auch die gemeinsame interdisziplinäre Arbeit an vielen aktuellen Themen, bei denen der Umgang mit Unsicherheit eine große Rolle spielt, zu erleichtern.
Wie unterstützt das „Young Scholar Network“ junge Forschende?
Zick: Wir haben mit Mitteln der Universität Post-Docs, also junge Wissenschaftler*innen, die promoviert sind, gefördert. Die haben ihre Wissensnetzwerke gebildet. Mittlerweile hat die ZEIT-Stiftung Bucerius ein hochkarätiges und internationales Stipendienprogramm „Uncertainty“ aufgelegt. In dem Programm promovieren vor allem junge Wissenschaftler*innen in verschiedenen Gesellschaften zu Fragen des Umgangs mit Unsicherheit. Ich bin Mitglied des Advisory Boards und im Auswahlgremium. Es gibt sehr viele Bewerbungen vor allem aus bevölkerungsreichen Ländern und Ländern, die massive Krisen aufgrund von Klimawandel, Inflation und hoher sozialer Ungleichheit haben. Wir beobachten eine starke Vernetzung der jungen Forschenden, die gerade über das Thema Unsicherheit und Ungewissheit gut jenseits disziplinärer, theoretischer und methodischer Grenzen denken können.
„Wir differenzieren soziale, politische oder wirtschaftliche Ursachen als Quellen für Unsicherheit, die immer wieder auch aufeinander bezogen sein können.“
Prof.’in Dr. Silke Schwandt
Wie gelingt der Wissenstransfer zwischen Disziplinen, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft?
Schwandt: Das gelingt, weil wir in gewisser Weise ein Reallabor der Ungewissheitsforschung anlegen. Wir gehen auf Wirtschaft zu, wir reden in Unternehmen, wir diskutieren mit Politik und laden sie ein. Wir versuchen die Ungewissheitsforschung als Wissensnetzwerk zu verstehen. Wir sind aber noch nicht da, wo wir hinwollen. Wir suchen Fördermittel für neue Transferansätze, die im Ausland schon laufen. So hat zum Beispiel die State University in Arizona ein Entscheidungstheater entwickelt, wo Wissenschaft und jene zusammenkommen, die Ungewissheit in Unternehmen und Institutionen navigieren müssen.
Wie sollten Unternehmen mit Unsicherheit umgehen?
Dawid: Für Unternehmen hat Unsicherheit unterschiedliche Aspekte. Einerseits wird es bei hoher Unsicherheit attraktiver, mit größeren irreversiblen Investitionen zu warten, bis deren Rentabilität klarer abzusehen ist. Man spricht hier von der „value of waiting“. Andererseits eröffnet insbesondere technologische Unsicherheit – was werden zukünftig dominante Technologien und Produkte sein – auch die Möglichkeit, durch mutiges Verhalten etablierte Marktstrukturen stark zu verändern und die eigene Position erheblich zu verbessern. Die Abwägung dieser unterschiedlichen Aspekte ist sehr anspruchsvoll und macht die Forschung zu Unternehmensentscheidungen unter Unsicherheit zu so einem interessanten Gebiet.
„Wir werten Daten aus, die wir im Umfeld der amerikanischen Präsident- schaftswahlen 2024 erhoben haben, um besser zu verstehen, wie Personen auf Veränderungen der (gefühlten) Unsicherheit in verschiedenen Lebensbereichen – von Wirtschaft, Politik bis Gesundheit – reagieren.“
Prof. Dr. Herbert Dawid
Wird es jemals wieder sichere Zeiten geben?
Schwand, Zick & Dawid: Unsicherheit hat es immer gegeben und wird es wohl auch immer geben. Die Chancen auf komplett sichere Zeiten stehen also schlecht. Aktuell scheint aber die Unsicherheit insgesamt besonders hoch zu sein. Das spiegelt sich auch in einschlägigen Indizes, wie dem „World Uncertainty Index“ wider, die deutlich über dem langjährigen Durchschnitt liegen. Es ist also wahrscheinlich, dass die Unsicherheit zumindest mittelfristig wieder etwas sinken wird.
Interview: Corinna Bokermann | Fotos: istockphoto.com/gremli, Universität Bielefeld