14. Oktober 2025

Product Carbon Footprint in der Praxis – Dos and Don’ts

Wie Unternehmen den CO₂-Fußabdruck ihrer Produkte belastbar berechnen und daraus konkrete Wettbewerbsvorteile ziehen können, machte Dr. Nadine Rötzer, Teamleiterin Produktnachhaltigkeit bei der DEKRA Assurance Services GmbH, im Rahmen der Green Innovation Weeks 2025 deutlich. Ihr Credo: Nur wer die gesamte Wertschöpfungskette im Blick hat, kann Klimawirkungen realistisch einschätzen und wirksam reduzieren. 

Die Erstellung und Prüfung des Product Carbon Footprints (PCF) stellt Unternehmen aller Größen und Branchen vor große Herausforderungen. Gesetze wie die Ökodesign-Richtlinie, die Batterieverordnung oder die Bauproduktverordnung machen klar: Die Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Produkten steigen rasant. Doch nicht nur die Gesetzgebung fordert Transparenz. „Auch Kunden und Geschäftspartner erwarten nachvollziehbare Daten – und wer hier glaubwürdig agiert, kann klare Wettbewerbsvorteile erzielen“, betont Nadine Rötzer. 

Während der Corporate Carbon Footprint (CCF) alle unternehmerischen Emissionen abbildet, geht der Product Carbon Footprint (PCF) ins Detail. Er betrachtet ausschließlich das einzelne Produkt – von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Nutzung bis hin zur Entsorgung. Gerade dieser Fokus ermöglicht es, Hotspots entlang der Wertschöpfungskette zu identifizieren – also besonders emissionsintensive Phasen oder Materialien. Auf dieser Basis lassen sich gezielt Optimierungspotenziale ableiten. 

Vier Schritte zur Klimabilanz 

Die Berechnung eines PCF basiert auf der Lebenszyklusanalyse (LCA). Dabei werden sämtliche Input- und Outputflüsse eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus erfasst. Dokumentiert werden in diesem Kontext nicht nur alle Rohmaterialien und Energieinputs, sondern auch alle Outputs, das heißt Produkte, Abfälle, Emissionen. Zuerst werden Ziel und Umfang festgelegt und die Systemgrenzen bestimmt. Die grundsätzliche Frage dabei lautet: Wird der Lebenszyklus von der Wiege bis zur Bahre (cradle to grave) oder bis zum Werkstor (cradle to gate) betrachtet? „Cradle to gate kommt hauptsächlich für B2B-Produkte in Frage, für Endkonsumentenprodukte empfiehlt es sich dagegen immer den kompletten Lebenszyklus zu betrachten“, so Nadine Rötzer. Im zweiten Schritt folgt die Sachbilanz, die sämtliche Energie- und Stoffströme abbildet, die es zur Herstellung eines Produktes über den gesamten Lebensweg braucht.

Im Rahmen der Wirkungsabschätzung werden die erfassten Energie- und Stoffströme mithilfe von Charakterisierungsfaktoren den jeweiligen Umweltwirkungen zugeordnet. Auf dieser Grundlage entstehen Wirkungsindikatorwerte, die eine quantitative Bewertung der Umweltauswirkungen ermöglichen. Im vierten und letzten Schritt werden die Ergebnisse interpretiert. „Die Interpretation wird häufig etwas stiefmütterlich behandelt, ist aber tatsächlich sehr wichtig. Hier identifiziere ich Hotspots, leite Optimierungsmaßnahmen ab und bewerte Unsicherheiten in den Daten“, erklärt Nadine Rötzer und warnt mit Blick auf die Qualität der Datenbasis: „Ich habe schon erlebt, dass Unternehmen willkürliche Daten aus dem Internet nutzen. Doch ohne Qualitätssicherung weiß man nicht, was wirklich dahintersteckt. Verlässliche Datenbanken sind hier unerlässlich.“ 

Relevante Normen und Standards 

Welche Ziele, welcher Umfang und welche Standards für den PCF mit relevanten Normen wie der ISO 14067 und dem GHG Protocol, aber auch für die Ökobilanz unter Berücksichtigung der ISO 14040/44 und des Product Environmental Footprints sowie für die Umweltproduktdeklaration gemäß ISO 14025 und EN 15804 ins Gewicht fallen, listet Nadine Rötzer differenziert auf. „Bei der Produktbilanzierung ist die ISO-Norm ausschlaggebend. Spannend ist, dass ISO und GHG-Protokoll künftig miteinander verschmelzen. Es wurde eine Harmonisierung angekündigt, das geht in die richtige Richtung“, hebt Nadine Rötzer angesichts einer Vielzahl von Standards positive Tendenzen hervor. Im Vergleich zum PCF hat die Ökobilanz das Ziel, unterschiedliche Umweltwirkungen zu kategorisieren: neben der Klimaveränderung zum Beispiel die Eutrophierung, die Versauerung oder Ökotoxizitäten. „Entscheidend ist, dass man auch noch Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Wirkungskategorien ermitteln kann“, so Nadine Rötzer. Bei der Umweltproduktdeklaration geht es darüber hinaus um die Erfassung sogenannter Sachbilanzindikatoren. 

Methodische Fallstricke 

Wenn es schließlich um die Prüfung von Ökobilanzen und des Product Carbon Footprints geht, gibt es zwei Möglichkeiten: die Verifizierung nach ISO 14064-3 oder die kritische Prüfung nach ISO 14071, die ohne Akkreditierung als iterativer Prozess möglich ist. „Hier liegt der Fokus auf der Methodik“, macht Nadine Rötzer deutlich und weist auf typische Fallstricke in der Praxis hin. Besonders häufig betrifft das die Bilanzierung von Strom. Viele Unternehmen rechnen Grünstrom als emissionsfrei an. „Es stimmt, Grünstrom verursacht keine direkten Emissionen durch die Verbrennung fossiler Energieträger. Aber durch den Abbau von Rohstoffen und die Errichtung von Anlagen entstehen sehr wohl indirekte Emissionen. Diese dürfen nicht vernachlässigt werden“, erklärt sie. Auch biobasierte Produkte werfen Fragen auf. Hinzu kommt das Thema vermiedene Emissionen, also Einsparungen durch besonders effiziente Produkte. „ISO 14067 und das GHG Protocol sind eindeutig: Vermiedene Emissionen dürfen nicht mit den verursachten Emissionen verrechnet werden.“, erklärt sie. 

Verifizierung und Qualitätssicherung 

Der Ablauf der kritischen Prüfung – vom ersten Kick-Off-Meeting inklusive Überprüfung der Dokumentation & Review Meeting bis zur finalen Prüfung und der Ausstellung des Prüfberichts und der Prüfbescheinigung – bringt diverse Vorteile mit sich. Sie dient der Fehlervermeidung – Stichworte sind Datenerfassung entlang des Produktlebenszyklus sowie die Modellierung/Berechnung des Produktes –, sorgt für eine bessere Nachvollziehbarkeit, bringt eine höhere Glaubwürdigkeit mit und bildet am Ende die Basis für eine unabhängige Qualitätssicherung durch externe Prüfende. 

Erfolgsfaktoren für Unternehmen 

Damit ein PCF nicht nur Zahlen liefert, sondern echten Mehrwert schafft, brauchen Unternehmen eine klare Strategie. Laut Nadine Rötzer gehören dazu der frühzeitige Einstieg, die Einbindung des Top-Managements, der Aufbau interner Kapazitäten sowie die Nutzung externer Expertise und geprüfter Hilfsmittel. „Die PCF-Studie braucht Zeit, planen Sie diese ein“, unterstreicht die Expertin, für die es entscheidend ist, den PCF nicht als isoliertes Projekt zu sehen, sondern ihn fest in die Unternehmensstrategie einzubinden. Für die PCF-Berechnung ist eine spezialisierte Software nicht notwendig. „Wesentlicher ist eine Datenbank, deren Qualität sichergestellt ist. Denn der Erfolgsfaktor für Ökobilanzen sind die Daten“, erklärt Nadine Rötzer. 

Der PCF schafft Transparenz, deckt Optimierungspotenziale auf und stärkt die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens. „Reduktion heißt nicht Kompensation. Es geht darum, echte Einsparungen sichtbar zu machen, so Schritt für Schritt den Weg in eine klimabewusste Zukunft zu ebnen und sich durch die frühzeitige Auseinandersetzung mit PCFs einen klaren Wettbewerbsvorsprung zu sichern“, fasst Dr. Nadine Rötzer zusammen.