15. Oktober 2025

Vielfältige Teams. Starke Leistung – Was Wirtschaft und Sport voneinander lernen können

In einem ständigen Wandel der Zeit sind es nicht nur Technologien oder Märkte, die über den Erfolg eines Unternehmens entscheiden – es sind mindestens genauso sehr die Menschen und deren Fähigkeiten und Kompetenzen, die sie in ihren verschiedenen beruflichen Rollen einbringen. Diversity, Equity und Inclusion (DEI) sind heute wichtige Faktoren für Innovation, nachhaltiges Engagement und unternehmerisches Wachstum. Kein Unternehmen kann es sich leisten, Arbeitskräftepotenzial zu verschwenden oder zu ignorieren. Vielfalt kann die Basis für Erfolg sein. 

Darum ist es kein Zufall, dass die Veranstaltung „Vielfältige Teams. Starke Leistung.“ in der Schüco Arena, Heimstätte des DSC Arminia Bielefeld, stattfand. Denn Sport verbindet unterschiedliche Nationalitäten, überwindet sprachliche Barrieren und wie in kaum einem anderen Bereich zählt hier das Leistungsprinzip. Wer unter der Woche hart trainiert, sich voll reinhängt, steht am Wochenende in der Startelf und kann mit dem Team den Pokal gewinnen. 

Das von der Initiative für Vielfalt im Bündnis OWL gemeinsam mit DAS KOMMT AUS BIELEFELD (WEGE) organisierte Event traf ganz offenbar einen Nerv, die Resonanz war riesig. Der „Krombacher Stammtisch“ war mit mehr als 200 Teilnehmenden aus fast 70 Unternehmen sehr gut gefüllt. Ein starkes Zeichen dafür, dass Diversität ein Thema ist, das Bielefelder Unternehmen bewegt.

Zur Einstimmung in das Thema präsentierten die beiden Moderatorinnen Laurena Patti, People Professional im Diversity Management bei der NTT DATA Business Solutions, und Anke Hoffmann, HR-Managerin DE & I und CSRD bei Schüco, ein eindrückliches „Experiment“. Es verdeutlichte auf eindringliche Weise, wie unterschiedlich die Ausgangsbedingungen von Menschen sein können – und wie Privilegien oft unbemerkt wirken. „Die Mehrheit der Menschen hat Privilegien, häufig ohne eigenes Zutun. Für diese Privilegien muss man sich nicht schämen, aber man muss sie sich bewusst machen und solidarisch füreinander eintreten“, erklärt Wirtschaftspsychologin Laurena Patti. „Und nicht alle Menschen bekommen die Chance, ihr Talent zu zeigen“, ergänzt Anke Hoffmann, Dipl.-Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin. Um die Unterschiede sichtbar zu machen, wurden die Teilnehmenden gebeten aufzustehen – und sich jeweils zu setzen, wenn eine vorgelesene Aussage nicht auf sie zutraf. Die Erste lautete: „Deutsch ist meine Muttersprache.“ Danach ging es u. a. um Herkunft, Religion, Bildungsstand der Eltern, sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität – und zuletzt: „Ich bin ein Mann.“ Am Ende standen nur noch wenige.

Privilegien ergeben sich zum Beispiel aus Herkunft, Hautfarbe, Bildung. Je mehr Privilegien jemand hat, desto näher ist diese Person dem Zentrum der Macht.

Laurena Patti

„Es ist ein unangenehmes Gefühl herauszustechen,“, sagt Laurena Patti,. „aber für marginalisierte Menschen gehört das meist zu ihrem Alltag; zum Beispiel die einzige Frau bei einem großen Managementmeeting zu sein. Privilegien ergeben sich zum Beispiel aus Herkunft, Hautfarbe, Bildung. Je mehr Privilegien jemand hat, desto näher ist diese Person dem Zentrum der Macht.“ Und das Bewusstsein dafür, dass Menschen unterschiedliche Voraussetzungen und damit Bedürfnisse haben, ist essentiell dafür, sie einzubinden und ihre spezifischen Talente zu fördern. „Dafür haben wir gemeinsam als Unternehmen die Charta der Vielfalt unterschrieben“, sagt Anke Hoffmann. „Mit dieser Selbstverpflichtung achten wir darauf, ein inklusives, chancengleiches und faires Miteinander in unseren Arbeitswelten anzubieten.“ 

Everybody Is A Talent

Das Plädoyer für eine Einbindung und Förderung von Talenten bildete eine perfekte Überleitung, eine Steilvorlage, um in der Sprache des Fußballs zu bleiben, für die Keynote von Cawa Younosi.  „Potenzial statt Privileg. Everybody Is A Talent“. „Vielfalt ist kein ,nice to have‘, sondern ein entscheidender Erfolgsfaktor für Gesellschaft und Wirtschaft“, betont der Geschäftsführer der Charta der Vielfalt e.V..  Der Verein ist Deutschlands größte Arbeitgebendeninitiative und wird von über 6.500 Unterzeichner*innen getragen.

Vielfalt ist kein ,nice to have‘, sondern ein entscheidender Erfolgsfaktor für Gesellschaft und Wirtschaft.

Cawa Younosi

Das gemeinsame Ziel:  Diversity, Inclusion und Zugehörigkeit fest im Arbeitsleben verankern. Dabei geht es nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit, sondern um alle Dimensionen von Diversität: ethnische Herkunft, Alter, Religion, sexuelle Orientierung, Behinderung, soziale Herkunft, Bildungsbiografie oder Elternschaft.

In seinem klugen und zugleich unterhaltsamen Vortrag räumt der Jurist, der im Alter von 14 Jahren allein aus Afghanistan flüchten musste, mit allerlei Vorurteilen auf. So würden die meisten Menschen der Aussage zustimmen, dass eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen wünschenswert sei. Doch ein Blick auf den Gender Care Gap von 2022 zeigt, dass Frauen 44,3 % mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer. Zudem arbeitet fast jede zweite erwerbstätige Frau in Teilzeit. „Das bedeutet weniger Einkommen, geringere Rente und geringere Chancen auf berufliche Verwirklichung. Keine gute Idee“, betont der 44-Jährige. 

Gleichbehandlung diskriminiert

Wenn man Frauen im Arbeitsleben exakt so behandelt wie Männer, also Beförderungen, Führungsaufgaben und Karrierechancen vor allem an Vollzeitarbeit und ständige Präsenz knüpft, führt das in der Praxis zu einer mittelbaren Diskriminierung. Younosis Lösungsvorschlag: Führung in Teilzeit muss die Regel sein, Vollzeit eine Option. Frauen fördern, heißt sie zu Befördern.  

Denn erst wenn der Gender Pay Gap nicht mehr entsteht, erübrigt sich für Familien die rein auf finanziellen Überlegungen basierende Frage, welcher Elternteil in Elternzeit geht. Wichtig ist zudem, dass Karrierebrüche durch Eltern- oder Pflegezeit nicht zu Einkommenseinbußen führen. „Eine faire Lösung wäre, dass jede Person nach der Rückkehr aus einer Auszeit automatisch eine Gehaltsüberprüfung erhält: Welche regulären Gehaltssteigerungen gab es in dieser Zeit? Diese können dann nachträglich angepasst werden. Für Unternehmen ist das kein großer Kostenfaktor, für die betroffenen Beschäftigten aber ein entscheidender Schritt“, betont Cawa Younosi. Die Schlussfolgerung lautet: Männer und Frauen sollen als Menschen gleichbehandelt werden – aber die unterschiedlichen Lebensrealitäten, insbesondere die ungleiche Verteilung der Care Arbeit, müssen in der Arbeitswelt berücksichtigt werden. 

Ungleicher Zugang zu Bildung

Weil Bildung kostenlos ist, kann jede*r Karriere machen, egal ob Arbeiter- oder Akademikerkind – man muss sich nur anstrengen. Das diese Aussage grundsätzlich falsch ist, zeigt der sogenannte Bildungstrichter indem er offenlegt, wie ungleich die Chancen tatsächlich verteilt sind: Von 100 Akademikerkindern schaffen es rund 79 an die Hochschule, 43 bis zum Master und 6 bis zur Promotion. Von 100 Arbeiterkindern hingegen beginnen nur 27 ein Studium, 11 machen einen Master, und gerade einmal 2 promovieren. „Für ein reiches Land wie Deutschland ist das eine Schande“, so Cawa Younosi. „Wir haben 6 Millionen Menschen ohne Berufsabschluss. Das ist eine fahrlässige Verschwendung von Potenzial.Dass Bildung formal kostenlos ist, reicht nicht aus, um faire Chancen zu schaffen. Wer keine akademischen Eltern hat, dem fehlen oft die Netzwerke, die Orientierung und die stillen Privilegien, die anderen selbstverständlich zur Verfügung stehen. 

Leistung allein entscheidet nicht über einen sozialen Aufstieg. Herkunft, soziales Umfeld und der ,Zufall der Geburt‘ haben in Deutschland nach wie vor ein viel größeres Gewicht.

Cawa Younosi

Leistung allein entscheidet nicht über einen sozialen Aufstieg. Herkunft, soziales Umfeld und der ,Zufall der Geburt‘ haben in Deutschland nach wie vor ein viel größeres Gewicht“, führt der Geschäftsführer der Charta der Vielfalt aus. Er selbst habe Abitur „aus Versehen gemacht“, weil er seinerzeit zufällig das Kästchen für das Gymnasium angekreuzt habe, wie er mit einem Augenzwinkern erzählt. Sein großes Glück sei gewesen, dass an der Schule in Bonn viele Kinder von Botschaftsangehörigen unterrichtet wurden. Soziale Mobilität in Deutschland ist so gering wie selten zuvor, und die Chancen für Aufstieg sind in den letzten Jahrzehnten sogar gesunken. Cawa Younosi zitiert den Elitenforscher Michael Hartmann, der sagt, dass die oberen vier Prozent Deutschland seit 150 Jahren lenken. „Unverdächtig klingende Maßnahmen wie die Bafög-Reform hätten ihren Anteil daran, dass Arbeiterkindern der Zugang zu höherer Bildung verschlossen bleibt“, sagt er. 

Mehr Vielfalt = mehr Profit?

Eine weitere Fehlannahme ist, dass Diversität automatisch zu mehr Gewinn und Produktivität führt. „Dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg. Vielfalt bedeutet in erster Linie Reibung – unterschiedliche Perspektiven, Arbeitsstile und Erwartungen prallen aufeinander. Das kann sehr wertvoll sein, etwa wenn kreative Lösungen gefragt sind oder wenn Produkte für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt werden. Dann bringen vielfältige Teams wichtige Impulse ein“, berichtet  Cawa Younosi. Aber Vielfalt kann auch kontraproduktiv wirken, zum Beispiel in Krisenzeiten, wenn schnelle Entscheidungen notwendig sind. Unterschiedliche Sichtweisen können Prozesse verlangsamen und Teams sogar scheitern lassen. Das bedeutet: Vielfalt ist kein Selbstläufer und kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg. Sie kann Potenziale entfalten, wenn sie sinnvoll eingesetzt wird – aber sie führt nicht automatisch zu mehr Gewinn. „Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass es nicht richtig ist auf Vielfalt zu setzen“, erklärt Cawa Younosi.

#Lowperformer

Cawa Younosi ist davon überzeugt, dass jede*r ein Talent ist. Die Sichtweise, es gebe High und Low Performer – die einen wollen leisten, die anderen nicht – sei nicht zutreffend. Leistung lässt sich manchmal nur schwer messen. Bei Tätigkeiten, wie Autowaschen oder Ziegelherstellung, kann Leistung leicht objektiv erfasst werden. In komplexen Arbeitsumfeldern mit arbeitsteiligen Produkten, in denen viele Menschen zusammenarbeiten, ist es schwieriger oder kaum möglich: Ein Softwareverkäufer könnte seine Arbeit ohne Backoffice, IT- oder Finanzsupport nicht machen. Diese Leistungen bleiben oft unsichtbar. Wirkliche Performance entsteht dort, wo Menschen ihre Stärken entfalten. Druck, Angst oder falsche Zielvorgaben blockieren Motivation. Unternehmen sollten zudem nicht nur Symptome wie „schwache Leistung“ betrachten, sondern Ursachen verstehen: Passt die Aufgabe zur Person? Stimmt die Teamdynamik? Gibt es private Belastungen? Manchmal liegt es schlicht daran, dass jemand im falschen Berufsfeld ist. Ein Beispiel: Ein unglücklicher IT-Spezialist entdeckt im Alter von 40 Jahren seine Leidenschaft für Landschaftsgärtnerei – und wird darin erfolgreich. Das war kein „Low Performer“, sondern ein Mensch am falschen Platz. Talent ist in der Gesellschaft breit verteilt, nur die Chancen nicht. Wer Potenziale erkennt und passende Rahmenbedingungen schafft, wird feststellen: „Low Performer“ gibt es kaum – meist nur Menschen, die noch nicht die richtige Aufgabe gefunden haben. „Menschen, die Spaß an der Arbeit haben, sind unschlagbar“, bringt es der Volljurist auf den Punkt. 

Unsichtbare Barrieren überwinden

Sind es wirklich monetäre Anreize, die Menschen motivieren? „Natürlich kann eine finanzielle Anerkennung sinnvoll sein – aber der weit verbreitete Glaube, dass höhere Boni automatisch zu mehr Leistung führen, stimmt so nicht. Ich habe selten jemanden gesehen, der wegen zehn, zwanzig oder dreißig Prozent mehr Vergütung im Folgejahr einen Schritt schneller läuft“, berichtet Cawa  Younosi. Zielvereinbarungsgespräche erfordern einen hohen Verwaltungsapparat und viele Leistungen sind – wie bereits gesehen – nicht messbar. „Statt Einzelnen die Möhre nur vor die Nase zu halten, wäre es besser alle laufen zu lassen, um regelmäßig und mehrmals im Jahr bestimmte Leistungen unmittelbar zu belohnen“, rät der Speaker und skizziert zum Abschluss die Learnings des Vortrags in aller Kürze: Vielfalt ist Fakt. Dass Andere sich zugehörig fühlen, ist eine Entscheidung. Jeder Mensch ist ein Talent. Die Chancengerechtigkeit entscheidet darüber, ob Potenziale maßgeblich sein sollen oder die „Lotterie des Lebens“. Vielfalt ist keine automatische Profitmaschine. Wenn Aufstiegschancen krass ungleich verteilt sind, sind alle Maßnahmen ungeeignet, die alle Menschen gleich behandeln, unabhängig von ihrem Hintergrund, dann ist eine Gleichbehandlung eine Diskriminierung. Zum Schluss ruft Cawa  Younosi dazu auf, gemeinsam die gläserne Decke – also die unsichtbare Barriere, die Frauen und andere marginalisierte Gruppen daran hindert, in die höchsten Führungsebenen eines Unternehmens oder einer Organisation aufzusteigen – zu durchbrechen.  

Die anschließende Panel-Diskussion verdeutlichte die Bedeutung von gelebter Diversität in Unternehmen und Organisationen. Auf der Bühne mit dabei waren Dr. Anne Duncker (Abteilungsleiterin Corporate Social Responsibility, GOLDBECK), Annabel Jäger (Cheftrainerin der 1. Frauenmannschaft, DSC Arminia Bielefeld), Dieter Schoon (Chief HR Officer, NTT DATA Business Solutions) sowie Sandrine El Sauaf (Head of Global Wellbeing, Diversity, Equity, Inclusion & Succession bei NTT DATA Business Solutions).

Die Teilnehmenden betonten, dass Vielfalt nicht nur ein gesellschaftlicher Auftrag, sondern ein echter Erfolgsfaktor sein können – wenn die Strukturen und Rahmenbedingungen klug gestaltet sind – Innovationen fördern und eine gerechtere Verteilung von Verantwortung ermöglichen. Sowohl im Sport als auch im beruflichen Kontext. Unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen stärken Teams, fördern Innovation und ermöglichen eine gerechtere Verteilung von Verantwortung. Dazu braucht es Vorbilder. 

Ein zentrales Thema war die Rolle von Frauennetzwerken: Sie schaffen Sichtbarkeit, fördern gegenseitige Unterstützung und helfen, strukturelle Ungleichheiten zu überwinden. Dabei wurde klar, dass es nicht darum geht, Frauen „anzupassen“, sondern Systeme zu verändern, damit alle Talente sich entfalten können. Offenheit und Inklusion – auch gegenüber Männern – sind dabei entscheidend für die Akzeptanz und Wirksamkeit solcher Netzwerke.

Die Diskussion zeigte auch, dass Diversität Reibung erzeugt und Veränderung oft unbequem ist. Doch wenn keine Privilegien abgegeben werden, verändert sich nichts. 

Unternehmen müssen sich ihrer Verantwortung stellen, konkrete Maßnahmen ergreifen und über Symbolik hinausgehen. Inklusive Führung, Fehlerkultur, psychologische Sicherheit und der bewusste Umgang mit Privilegien wurden als zentrale Hebel genannt.

Besonders hervorgehoben wurde die Notwendigkeit, Ängste – etwa im Umgang mit Gender-Themen oder kultureller Vielfalt – ernst zu nehmen und Räume für Austausch zu schaffen. Internationale Perspektiven und kulturelle Unterschiede müssen dabei ebenso berücksichtigt werden wie individuelle Bedürfnisse. Entscheidend sind Haltung, glaubwürdiges Handeln („Walk the Talk“) sowie die Bereitschaft, Ängste und Widerstände im Wandel ernst zu nehmen.

Insgesamt wurde deutlich: Diversität ist kein Selbstläufer, sondern erfordert Engagement, Reflexion und den Willen zur Veränderung – aber sie lohnt sich für alle Beteiligten. Die Wirtschaft kann vom Sport lernen: In einer Profimannschaft entscheidet einzig die Leistung, wer am Spieltag in der Startelf steht.