12. August 2025
green account bringt Unternehmen und Flächen zusammen
Wenn Renaturierung zum Geschäftsmodell wird

Wer in Deutschland unvermeidbar Flächen versiegelt, muss dies gemäß Bundesnaturschutzgesetz ausgleichen. Das stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen. Zunächst müssen geeignete Flächen im selben Bundesland und Naturraum gefunden werden. Anschließend sind passende Maßnahmen (z. B. die Anlage von Streuobstwiesen, Aufforstung oder Waldumbau) zu planen, prüfen zu lassen, umzusetzen, abzunehmen und nachhaltig zu pflegen. Hier setzt das im September 2021 gegründete Bielefelder Startup green account mit dem Biotopwertverfahren gemäß Bundesnaturschutzgesetz an. Die Idee: Wenn Natur messbar und bewertbar ist, können Unternehmen gezielt investieren.
„Wir wollen Natur aufwerten und besser machen“, sind sich die Gründer Dr. Johann Meyer zu Bentrup, Max von Sandrart und Trutz von der Trenck einig. Angefangen hat es mit dem Anlegen von Blühstreifen, aber schon bald war klar: Wir wollen größer und langfristiger denken. Aber wie kann man den Wert von Natur so bemessen, dass sich für Unternehmen eine Investition lohnt? Die Lösung: Das Biotopwertverfahren, das auf dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und der Bundeskompensationsverordnung (BKompV) basiert, wandelt den Wert und die Aufwertung von Naturräumen in sogenannte Ökopunkte um – eine Art Währung, die es in Deutschland schon seit 1994 gibt. Zwar existieren nicht in jedem Bundesland Ökopunkte, doch das Startup mit seinem Stammsitz in Bielefeld und einem Büro in Berlin hat hierfür eine Formel zur Umrechnung gefunden.
Natur als Business Case
Mit dieser ökologischen Währung schafft green account eine transparente und verlässliche Basis für Investitionen in die Natur. Auf der Plattform www.kompensationsmarkt.de, die als bundesweit führender digitaler Marktplatz für Ökopunkte und Ausgleichsflächen gilt, bringt das Bielefelder Startup Landbesitzende und Unternehmen zusammen und fungiert als Makler mit darüber hinausgehenden Leistungen. Eigentümer*innen erhalten die Möglichkeit, ihre Flächen kostenfrei anzubieten, ohne sie zu verkaufen. Mit einem Ökopunkte-Rechner können sie mit ein paar Klicks das Ökopunkte-Potenzial ihrer Fläche berechnen, wenn sie diese renaturieren. Die Ökopunkte können an Personen und Unternehmen zu Kompensationszwecken veräußert werden. Die Landeigentümer*innen müssen aber nicht in Vorleistung gehen. Sie können abwarten, bis ein Investor die Fläche benötigt und erst dann mit geeigneten Maßnahmen, wie dem Anlegen einer Streuobstwiese, (Wieder-)Aufforstung oder die Wiedervernässung von Mooren, beginnen. Die Eigentümer*innen verpflichten sich, die Fläche zu pflegen. Dazu gehört beispielsweise der Obstschnitt oder bei der Aufforstung der Schutz junger Bäume vor Wildverbiss und das Entfernen konkurrierender Pflanzen. „Wir wollen Landwirtinnen und Landwirte dafür sensibilisieren, dass die Aufwertung von Naturräumen ein interessantes Produkt ist, das Deutschland verändern wird und eine zusätzliche Einnahmequelle darstellen kann“, erklärt Johann Meyer zu Bentrup, der als Landwirt in sechster Generation einen eigenen Hof bewirtschaftet.
Wir wollen Klimaschutz und Biodiversität bei der Flächenbewirtschaftung mit den wirtschaftlichen Interessen der Landwirtinnen und Landwirte bestmöglich verzahnen und fair vergüten.
Bundesweit aktiv
Flächen sind heiß begehrt in Deutschland. Aber auch auf ertragsschwachen Flächen und schwierig zu bewirtschaftenden Teil- oder Randstücken lassen sich ökologische Aufwertungen durchführen. Alle Projekte und Maßnahmen von green account werden von Landschaftsarchitekt*innen geplant, von Naturschutzbehörden geprüft und durch Ökopunkte langfristig gesichert. Das Vertriebsteam sucht im Auftrag der Kund*innen bundesweit und zielgerichtet Ausgleichsflächen, die sich – so ist es gesetzlich verankert – vorzugsweise im selben Naturraum befinden sollen. Für Deutschland wurden über 70 Räume definiert, die nicht identisch mit den Bundesländern sind. Wenn zum Beispiel die Deutsche Bahn eine neue Trasse von Berlin nach München bauen würde, wäre die Suche aufwendig. Bis der Eingriff in die Natur ausgeglichen ist, müssen Anträge gestellt und Genehmigungen eingeholt werden. Den bürokratischen Aufwand kann green account auf Wunsch übernehmen, damit sich die Unternehmen auf ihr eigentliches Vorhaben konzentrieren können. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir als strategischer Partner für ausgleichspflichtige Unternehmen bundesweit die geeigneten Flächen finden, Projekte fachlich beplanen und den gesamten Prozess rechtssicher begleiten können“, sagt Trutz von der Trenck, der gemeinsam mit Max von Sandrart die Geschäftsführung innehat.

Nicht nur die Anzahl der Flächen ist in den vergangenen Monaten kräftig gewachsen – aktuell werden 80.000 Hektar in ganz Deutschland angeboten –, sondern auch das Team. Momentan sind es 20 Mitarbeitende. Das Geschäftsjahr 2024 wies bereits ein Transaktionsvolumen von 10 Mio. Euro auf. Die Aktivitäten von green account wecken in der Branche großes Interesse und so ist es den Bielefeldern gelungen, „LV digital“ – die Digitaltochter des renommierten „Landwirtschaftsverlag Münster“ – als strategischen Investor zu gewinnen. „Unser gemeinsames Ziel ist es, Naturleistungen sichtbar zu machen“, betont Max von Sandrart, Mitgründer und Geschäftsführer von green account, die Zielsetzung. „Wir wollen Klimaschutz und Biodiversität bei der Flächenbewirtschaftung mit den wirtschaftlichen Interessen der Landwirtinnen und Landwirte bestmöglich verzahnen und fair vergüten.“ LV digital beteiligt sich an green account mit einer einstelligen Millionenhöhe.
Noch größer denken
Neben der gesetzlichen Verpflichtung zur Kompensation gibt es zudem eine klare ökonomische Komponente. Über 50 Prozent des globalen BIP hängen laut New Nature Economy Report des Weltwirtschaftsforums (2020) von gesunden Ökosystemen ab, die z. B. Nahrung, Wasser und Rohstoffe liefern. Aktuelle politische Entwicklungen wie das neue EU Nature Restoration Law unterstreichen diesen Trend. Es verpflichtet die Mitgliedstaaten zur aktiven Wiederherstellung degradierter Ökosysteme – und schafft damit eine starke Grundlage für marktbasierte Naturschutzlösungen. „Die Erhaltung des Naturhaushaltes und dieses Ziel möglichst effizient und marktwirtschaftlich zu organisieren wird politisch immer wichtiger – zum Beispiel auf EU-Ebene“, betont Trutz von der Trenck.
Eine Vision der Gründer besteht darin, ihr bislang hauptsächlich auf den Kompensationsmarkt ausgerichtetes Geschäftsmodell zunehmend auf freiwilliges Engagement auszuweiten. Ziel ist es, Unternehmen dafür zu gewinnen, Verantwortung für Biodiversität, Artenvielfalt und Klimaschutz zu übernehmen – und durch gezielte Investitionen in natürliche Lebensräume Haltung zu zeigen. Vorreiter wie die Founders Foundation und die Dr. Wolff Group machen es vor: Sie engagieren sich bereits aktiv im Biotopkomplex Bielefeld-Brönninghausen.
Best Practice in Brönninghausen
Auf einem etwa 22 Hektar großen Acker, der zuvor intensiv landwirtschaftlich genutzt wurde, entsteht am Bielefelder Standort von green account ein vielseitiger Biotopkomplex. Mit verschiedenen Maßnahmen, wie die Anpflanzung von Streuobstwiesen mit heimischen Baumarten, Schaffung von Gewässerrandstreifen zur Förderung des ökologischen Gleichgewichts, Erstaufforstung und Entwicklung von Waldrandzonen und die Pflanzung von Feldhecken zum Schutz vor Erosion und zur Vernetzung der Biotope, soll die Fläche in ein hochwertiges und vielfältiges Ökosystem umgewandelt und die ehemals artenarme Fläche in biodiverse Lebens- und Schutzräume aufgewertet werden. Rebhühner, Fledermäuse und andere Tiere und Insekten sowie diverse Pflanzenarten sollen hier ein Zuhause finden.